Gute liegt so nah...
räumte das Wohnzimmer auf, knüllte mit schlechtem Gewissen die Chipstüte zusammen und warf sie in den Müll. Dann zog ich meine Laufshorts und ein T-Shirt an (mit dem Aufdruck „Al’s Slaughterhouse, Des Moines, Iowa“). Ich beschloss, nach Coast Guard Beach zu fahren und mit meinem Hund am Wasser entlangzulaufen. Das war anstrengender als auf der Straße, aber ich muste mich auspowern. Mal abgesehen davon, dass man unmöglich trübsinnig sein konnte, wenn man hier im Juni am Strand entlanglief.
Digger freute sich doppelt, weil wir Auto fuhren, und er steckte den Kopf schnuppernd aus dem Fenster, als wir über die Ocean View Road zum Strand unterwegs waren. Die Luft war klar und kühl, und die Möwen ließen sich vom Wind tragen. Da die Schule noch nicht aus war, gab es noch reichlich Parkplätze am Strand. Ich stieg aus, und Digger sprang aufgeregt um mich herum. Vielleicht würde heute doch ein guter Tag werden. Schlimmer als gestern war ja auch kaum möglich.
Noch beim Aussteigen sank mein Mut, denn ich entdeckte Joes Pick-up. Verdammt! Ich starrte seinen Wagen an und überlegte, ob ich nach wie vor zum Strand hinunter wollte. Nein, entschied ich, ich würde doch auf der Straße joggen. Eine Begegnung mit Joe wäre einfach zu entmutigend, und ich fühlte mich schon elend genug.
Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht merkte, wie Sam in seinem Streifenwagen neben mir hielt.
„Hallo Millie“, rief er. Ich erschrak.
„Oh, hallo Sam. Hallo Ethel.“ Sams Partnerin bedachte mich mit einem grimmigen Blick und nickte.
„Willst du joggen?“, fragte Sam.
Plötzlich knisterte das Funkgerät im Streifenwagen. Wir lauschten alle drei.
„Achtung, Eastham Rettungsdienst. Signal zweiundvierzig, eine Frau liegt in den Wehen. Cost Guard Beach, südlich der Uferpromenade, Nähe Rettungsposten vier. Der Vater winkt mit einem gelben Handtuch.“
„Scheiße!“, fluchte Ethel und schnappte sich das Funkgerät, um sich zu melden, während Sam bereits aus dem Wagen sprang.
„Hilf uns“, rief er mir über die Schulter zu und rannte zur Promenade.
„Hier!“ Ich drückte Ethel Diggers Leine in die Hand, sprintete zu meinem Wagen, um meine Arzttasche aus dem Kofferraum zu holen, und rannte ebenfalls zur Promenade, auf deren sandigen Holzbohlen ich immer wieder ausrutschte. In etwa hundert Metern Entfernung sah ich den Vater mit dem angekündigten gelben Handtuch winken. Ich registrierte kaum den Sand in meinen Turnschuhen, die hellen Farben am Strand, das Zischen und Donnern der Brandung. Eine Menschenmenge hatte sich um die schwangere Frau versammelt. Sam war ein paar Meter vor mir, doch ich holte auf. Ethel folgte uns mit meinem Hund; nach ihrem jahrelangen Zigarettenkonsum war Laufen nicht mehr drin.
Die Frau lag auf ihrem Strandhandtuch, auf dem sich ein dunkler Fleck ausbreitete, bei dem es sich jedoch nicht um Blut handelte.
„Okay Leute, macht mal Platz“, befahl Sam den Schaulustigen und scheuchte sie zurück.
„Hallo, ich bin Millie“, stellte ich mich ein bisschen außer Atem vor, kniete neben der Frau nieder und drückte ihr beruhigend die Schulter. „Ich bin Ärztin. Wie geht es Ihnen?“
„Ich glaube, das Baby kommt“, antwortete sie keuchend. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ihre Hände griffen in den Sand.
„Ist es Ihr erstes?“, erkundigte ich mich, öffnete meine Tasche und zog ein Paar Latexhandschuhe heraus.
„Nein, mein zweites“, antwortete die Frau. Ich sah auf und bemerkte einen kleinen, etwa zweijährigen Jungen, der sich ans Bein des Handtuchwinkers klammerte.
Sam kniete sich neben mich. „Was soll ich tun?“
„Halt die Leute zurück“, bat ich. „Und dann brauche ich dich gleich.“
Wie häufig bei Notfällen passierte alles gleichzeitig. Sam schob die Schaulustigen weiter zurück, und ich hörte ihn dabei über Funk mit dem Krankenwagen kommunizieren. Irgendwo in der Nähe spielte Musik. Die Schwangere stöhnte leise, worauf ihr Mann ihre Hand ergriff. Ich betastete ihren Unterleib, der wegen der heftigen Kontraktionen ganz hart war.
„Wie heißen Sie?“, fragte ich.
„Heidi“, keuchte sie.
„Der Krankenwagen ist unterwegs, Heidi“, sagte ich. „Ich werde Sie untersuchen, um herauszufinden, wie es aussieht. Haben Sie ein sauberes Handtuch?“, wandte ich mich an den Vater, der sofort eines aus seiner Strandtasche nahm und mir gab. Ich schob es der Frau unter den Po.
„Wird sie es schaffen? Kommt das Baby?“, wollte der Mann wissen.
Mit der
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