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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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der dunklen Winternacht in fußkalten, knapp geheizten Zimmern und fröstelnden Abenden vor zweierlei Streichwurst.
    Für einen Abend und eine Nacht überfluteten vierzig festlich gekleidete Menschen unsere Wohnung, saßen an kleinen Tischchen in der Bibliothek und im Salon und an der lang ausgezogenen Tafel im Eßzimmer. (Das Arbeitszimmer blieb den Herren reserviert, damit sie dort nach dem Essen rauchen und sich Witze erzählen konnten.) Kommoden und Schränke spien Silber, Kristall und Damast aus. Neben den Glaskronen brannten noch Kerzen auf allen Tischen, und alle Öfen waren voll geheizt, so daß es sogar noch am Tage nach der Gesellschaft richtig mollig bei uns war.
    Für acht bis zehn Stunden reckte sich die Familie in altem Stolz auf und zeigte, wer sie war — und wieder werden wollte. Sie kam mir vor wie die Blume Regina della notte, die Königin der Nacht, die nur eine Nacht wunderbar blüht und über die ich gerade damals eine Geschichte gelesen hatte, die mich sehr erregte.

    Ich entsinne mich noch, daß es diesmal bei der Besprechung der Gästeliste darum ging, ob man von Opapas Kollegen außer dem allgewaltigen Herrn Busch, dem Generaldirektor, auch den Assessor Werkenthau einladen solle. Werkenthau war vor kurzem in die Direktion aufgenommen worden. Er hatte schnell Karriere gemacht, weil er, wie Opapa sich ausdrückte, ein »scharfer Hund« war.
    In den Wochen vor der Großen Gesellschaft hatte Opapa keine Dienstreisen vor und ging deshalb ins Büro. Er ging früher weg als sonst und kam später heim — alles wegen Werkenthau. Als drohende Konkurrenz fiel sein Schatten immer dunkler über die Familie.
    Ich fand es überhaupt nicht richtig, daß Opapa ins Büro ging. Ich hatte Angst um ihn, ohne daß ich mir klarwerden konnte, warum. Wahrscheinlich empfand ich unterbewußt, daß der bei aller Poltrigkeit schrullig-gütige und noble Mann dem üblichen erbarmungslosen Nahkampf eines Bürobetriebes nicht gewachsen war. Allein auf einer Inspektionsreise durch die im ganzen Land verstreuten Zweigfabriken oder als würdiger Repräsentant des großen Unternehmens auf einem der zahlreichen Kongresse, war er in seinem Feld. Aber Tisch an Tisch mit Werkenthaus, die schon um halb neun dort saßen und bis in die Nacht durcharbeiteten?
    Auch Omama empfand das wohl und suchte ihn auf ihre Weise durch Mittagessen zu stärken, die sich aus all seinen bescheidenen Lieblingsgerichten zusammensetzten: eine besondere Art Rübchen in brauner Soße, Kotelett mit Setzei, Mixed pickles und vor allem Meerrettich, den sonst niemand von uns ausstehen konnte. Opapa pflegte ihn zu allen Gerichten zu essen, zur Verzweiflung der Omama, die an düsteren Tagen feststellte: »Es hat gar keinen Zweck, sich etwas Besonderes für dich auszudenken, wenn du dir alles mit diesem scheußlichen Zeug beschmierst!«
    Jetzt aber waren alle Einwände hintangestellt, zumal Opapa statt um zwölf erst um halb sechs abends zu Mittag aß. Wenn er kam, nahm ihm Omama schon an der Tür die Aktentasche und den Hut ab, strich ihm über das Haar: »War es schlimm, Mäcke?«
    Valeska hängte derweilen den Mantel auf.
    Drinnen bürstete sich Opapa den Schnurrbart vor dem Spiegel, nahm die >Röllchen< ab (steife Manschetten, die nicht mit dem Hemd verbunden waren), gab mir einen Kuß, streichelte Jakob und sagte etwas mühsam, als müsse er sich erst wieder zurechtfinden: »Na, ihr beiden Ultruspultrusse?«
    Dann setzte er sich zu Tisch, und es ging los. Er aß trotz allen Ärgers, der vorausgegangen sein mochte, mit Eifer und Genuß. Er lieferte seinen Lieblingsgerichten sozusagen eine Schlacht, und wenn er mit vollen Backen unter dem gesträubten Schnurrbart kaute, klang es immer wie »Nam-nam-nam«.
    Dabei mußte er unentwegt Omama berichten. Sie schob ihm wie einem Baby mit einem Löffel die Speisen auf dem Teller zurecht.
    »Na, und was hat Werkenthau gesagt?« Sie kroch fast in ihn hinein. Ich saß ihm mit offenem Mund gegenüber, Jakob hatte den Serviettenring annektiert und rollte ihn über das Tischtuch, die Mama machte sich im Hintergrund zu schaffen und tat, als ob sie am Spiegel Staub wische.
    Opapa schob eine Gabel mit Rübchen in den Mund und feuerte einen kleinen Löffel Meerrettich hinterher: »Ja, also, da haben wir die neuen Schutzgitter für die Arbeiter an den Sägen besprochen, und — nam-nam-nam — da setzt sich doch der Kerl hin und sagt, man könne glatt die Hälfte sparen, wenn man statt der Ausführung A die Ausführung B

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