Gute Nacht Jakob
mich verzweifelt an seinen Arm.
»Ach... Opapa, er ist doch kein Hund... und er kommt doch nie richtig ‘raus... und... und da denkt er, die Wohnung is sein Wald, wo er was zerhacken und verstecken kann!«
Opapa starrte mich an. Ich starrte ihn an. Meine Unterlippe zitterte höchst albern. Schließlich räusperte er sich:
»Wald... hm!« Er sah zu Jakob hinüber, der völlig vernichtet und mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Diwan saß:
»So ein Lausejunge! Hoffentlich hast du ihm nichts getan! Der hält ja die Flügel so komisch!«
»Na, seid ihr denn nun bald fertig?« Omama kam aus dem Eßzimmer, ich nahm schnell den Wurm vom Brief. Sie sah den Klecks:
»Wer war denn das nun wieder?«
»Ich!« antworteten Opapa und ich wie aus einem Munde.
Sie sah von einem zum andern: »Na, wer denn nun?«
»Ich habe...«, sagte ich.
»Und da wollte ich...«, sagte Opapa dazwischen.
»Vielleicht radieren...?« schlug ich hastig vor.
Sie griff nach dem Brief, während es um ihren Mund verdächtig zuckte: »Unsinn... er muß noch mal geschrieben werden! Nicht mal das könnt ihr...«
Damit rauschte sie ins Eßzimmer zurück. Drinnen hörten wir sie dröhnend zur Mama flüstern: »Eine Viertelstunde haben sie gebraucht, um einen Klecks auf den Brief zu machen. Natürlich halten sie wieder zusammen. Gegen die kommst du nicht auf!«
Opapa grinste mich an. Ich grinste zurück. Dann ging er zum Diwan. Jakob stieg sofort auf seinen Arm und schmiegte sich an ihn. Als ich ihm meine Hand hinhielt, hackte er nach mir.
»Er hat Charakter, der Bengel!« sagte Opapa und kraulte ihn. Jakob sträubte die Frisur und machte runde Kulleraugen. Ein Muster von Hingabe und Artigkeit. In meinem Herzen fühlte ich einen Stich.
»Hast ganz recht, Ultruspultrus!« meinte Opapa, »‘nem kleinen Vogel ‘ne Ohrfeige geben!« Er ging mit ihm zum Fenster. »Sieh dir den Wind draußen an, Jakob! Welcher kleine Vogel hat’s schon so gut wie du. Und im Frühjahr gehen wir auch in den Wald...«
Dann kam Weihnachten. Das Schönste daran waren die Vorbereitungen. Sie begannen schon sechs Wochen vorher, wenn nach einem zweihundert Jahre alten Rezept der Pfefferkuchenteig eingeknetet wurde. Jakob mußte natürlich davon naschen und ging fast daran ein. Drei Tage lang wollte er überhaupt nichts fressen. Offenbar hatte der unreife Kleister sein Innenleben total verwüstet. Später hielt er sich dann an den Mandeln und Rosinen schadlos, die dem Teig in feierlichem Ritus beigefügt wurden. Dann rollten die ersten Nüsse ein. Jakob knackte sie in Scharen, und immer wieder mußte ich mich wundern, daß ihm nicht der Kopf abflog, wenn er die harten Schalen mit gewaltigem Streich spaltete. Die leeren Hüllen ließ er dann überall fallen. Wir lernten in diesen Tagen die Füße vorsichtig zu setzen, und überall krachte es. Die tote Gans, die dann eintraf, um sich später in einen saftigen Braten zu verwandeln, entsetzte ihn dagegen. Während man sie rupfte, schloß er sich im Bauer ein und saß dort ganz dünn in einer Ecke. Offenbar befürchtete er, daß Valeska, da sie gerade mal im Zuge war, anschließend auch ihn rupfen und in die Pfanne hauen könne.
Dann aber kam wiederum ein schönes Erlebnis: der Weihnachtsbaum. Ein ewig betrunkener Installateur aus dem Hinterhaus namens Hummel hatte ihn traditionsgemäß anzuspitzen und in das Stehkreuz zu zwängen, das seit zwölf Jahren gewissenhaft aufgehoben wurde und schon deutliche Anzeichen von Altersschwäche zeigte. Omama erklärte jedoch jedes Jahr, daß es noch sehr gut wieder verwendet werden könne, und so jagte ihm Hummel noch ein paar dicke Nägel in den Leib, und es ging wieder. Opapa pflegte sich an der Errichtung des Baumes sehr aktiv, wenn auch nicht immer gerade fördernd zu beteiligen.
»Nein, warten Sie mal... Hummel... ‘n Augenblick...«, hörte man ihn dann sagen, »der Baum hat ja mindestens zwanzig Prozent Neigung!«
Hummel, der selbst mindestens dreißig Prozent Neigung hatte, und zwar nach verschiedenen Seiten, behauptete dagegen, der Baum stünde kerzengerade. Opapa klappte dann sein perlmutternes Taschenmesser auf, ging in die Küche und verlangte von Valeska Brennholzscheite. Diese zerlegte er in stundenlanger Arbeit mit dem Perlmuttermesser, spitzte sie an, ordnete die angespitzten Keile auf einem Zeitungsblatt, und wenn er dann damit nach vorn kam, hatte die Mama unter eines der unegalen Beine ein Buch gelegt, und der Baum stand längst gerade. Die Keile erbte Jakob, der sie
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