Gute Nacht Jakob
seufzte wieder. »Ach, meine beiden kleinen Jungens!« sagte sie dann.
»Möchtest du auch einen kleinen Jungen haben, Valeska?«
Sie hielt meine dünne, durchsichtige Hand in ihren großen, harten roten Händen, ganz vorsichtig, so, als könnte sie sie zerbrechen:
»Ach ja... ich möchte schon einen haben...«, und seufzte wieder.
»Warum seufzt du denn so viel, Valeska?«
»Weil wir uns doch mal trennen müssen.«
Ich richtete mich mit einem Ruck auf:
»Trennen? Wir trennen uns niemals, Valeska! Du darfst nicht weggehen, versprichst du mir das?«
»Aber ich will doch mal heiraten!«
»Wann denn?«
»Na, so in ein, zwei Jahren... ich weiß nicht...«
»Den Paul?«
»Ja... ich habe auch schon meine Wäsche beisammen.«
»Das ist aber schrecklich, Valeska!« sagte ich und fing an zu weinen. Da fing sie auch an zu weinen, und wir weinten beide eine Weile zusammen, dann putzte ich mir entschlossen die Nase und sagte: »Jetzt hab’ ich Hunger!«
»Ich wärm dir noch ‘n bißchen Taubensüppchen...« Sie stand auf und ging zur Tür.
»Valeska...«
»Ja?«
»Ich will aber niemanden anders als dich haben, du sollst nicht heiraten! Könntest du dir nicht ‘n kleineren nehmen als den Paul, der ginge noch mit in dein Zimmer!«
»Uuuuuuh... uuuuuh...«, machte sie nur, zog ihr Taschentuch, schnaubte sich gewaltig und ging in die Küche, wo sie mit den Töpfen hantierte. Ich blieb allein.
»Jakob...«, sagte ich.
Er sprang mit einem großen Knopf im Schnabel zu mir ins Bett. Ich hielt ihm die Hand hin: »Schenkste mir den Knopf?«
Er zögerte einen Augenblick, dann legte er ihn mir in die Hand. Ich kraulte sein Köpfchen, er sträubte die Federn und schloß verzückt die Augen.
»Ach, Jaköbchen«, sagte ich und begann wieder zu weinen, »du bleibst wenigstens bei mir, nicht wahr?«
DIE LANDPARTIE
Als ich wieder gesund war und sich beim besten Willen kein Fieber mehr feststellen ließ, ging ich noch zwei Tage in der Wohnung umher. Die Knie waren weich, ich schritt wie auf Watte und legte mich bald wieder hin.
»Es hat den Jungen wieder sehr angegriffen!« sagte man.
Am dritten Tag durfte ich einen Augenblick ins Freie gehen, unten in den Hof. Dort war schon der Frühling ausgebrochen. In der sogenannten Schmuckanlage hinter den Müllkästen zählte ich zwölf Schneeglöckchen und fünf Krokusse. Ich hatte Jakob natürlich mit heruntergenommen, weil er auch so lange nicht an der Luft gewesen war. Die Frühreife aus dem Porzellangeschäft war selbstverständlich sofort wieder da.
»Du bist aber dünn geworden!« meinte sie. »Da kannst du mich wohl noch nicht durch den Kellergang tragen, wenn wir Seeräuber spielen?«
Ich sagte, ich könnte wohl, wollte aber nicht.
»Darf ich dann wenigstens mal den Jakob halten?«
»Ja, gut... nimm ihn.«
Sie hielt ihm die Hand hin, er stieg über, rannte schnurstracks ihren Arm hinauf und riß ihr ein paar Haare aus. Sie stand völlig erstarrt mit runden Augen und machte den Mund auf, als ob sie schreien wolle.
»Heule nicht, dumme Gans«, sagte ich, »das macht er doch aus Liebe. Ihm gefällt dein Gesicht.«
Sie machte sofort den Mund wieder zu, nahm sich Jakob von der Schulter, kraulte ihn und sagte: »Aus Liebe... ei, ei, Jaköbchen!«
Ich atmete auf, daß die Sache so verlaufen war. Jetzt zerrte Jakob aus Leibeskräften an dem Band, das ihre weiße Bluse verschloß. Es hatte am Ende zwei kleine rote Herzen, und die hatten es ihm wohl angetan.
»Gefällt dir mein Gesicht auch?« fragte sie mich.
Ich musterte sie prüfend: »Jaaa... ganz nett... bißchen dick...«
»Ach, du bist ja dumm... komm, Jakob, wir gehen an die Mülltonnen, das hast du doch gern, nicht?«
Ich war ganz froh, daß sie mit ihm abschob, denn ich wollte mir mal die Krokusse ansehen. Sie waren wie aus einer anderen Welt, diese wunderbare dünne Zeichnung auf den Blättern und innen der gelbe Stempel, ganz zart bepudert. Und da die Schneeglöckchen — eines war ganz groß, und die zackigen Blätter mit Celb abgesetzt! Wie schön! — Ich sah auf: Steine ringsumher, mit tausend Fensteraugen, grau, verraucht und ganz oben der Himmel. Es war, als ob die Steine über mich fallen würden.
Dann hörte ich die Stimme der Frühreifen: »Jakob... Jakob... laß das, komm her!«
Und da sah ich es: Jakob, der erst die Mülltonnen revidiert hatte, war auf den Rasen geflattert. Es hatte ihn schon wieder interessiert, was an den Blumen war, die ich streichelte, und er begann sie auf seine Weise
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