Gute Nacht Jakob
Jakob loslassen können!«
Opapa errötete wie ein Schuljunge, die Dame lächelte vor sich hin. Der Zug fuhr an.
»Was hast du denn da?« fragte die Dame nach einer Weile. »Ein Vögelchen?«
»Nein, ein Stachelschwein, du blöde Ziege«, drängte es mich zu sagen, aber meine gute Erziehung überwog. Außerdem dachte ich an Jakob und sagte: »Eine Dohle ist es, gnädige Frau, Jakob heißt er.«
Die dunkle Dame hatte ein Grübchen, wenn sie lächelte, und ähnliche Antilopenaugen wie Tante Lola, nur traten sie ihr etwas mehr aus dem Kopf.
»Sie haben aber ein sehr wohlerzogenes Söhnchen!« sagte sie zu Opapa.
»Gnädigste sind sehr liebenswürdig!« erwiderte Opapa mit einer seltsam kollernden Stimme und lüftete den Hut, und — zu mir gewandt: »Geh mal ans Fenster, mein Sohn, und zeige Jakob die Gegend!«
»Mein Sohn...?« Irgend etwas war da kaputt, aber mir konnte es ja gleich sein, die Idee mit der Gegend war jedenfalls gut. Ich lüftete die zweite Hand von Jakob, ließ ihn frei sitzen und stellte mich ans Fenster. Draußen versanken die letzten Häuser, Felder drehten sich vorbei wie bunte Schachbretter, manche waren noch dunkel, manche schon ganz hellgrün bewachsen. In der Ferne Waldkulissen. Jakob blieb auf meiner Hand, war aber ganz dünn vor Angst und Aufregung. Er drehte den Kopf nach hinten, um mich zu beobachten. Er konnte den Kopf furchtbar weit nach hinten drehen, beinahe rundherum. Dann sah er wieder zum Fenster hinaus, und plötzlich begann er, seltsame Symptome zu zeigen. Er ging in die Kniebeuge, richtete sich dann wieder auf, duckte sich wieder zusammen und wiederholte das Ganze mit der Regelmäßigkeit einer Maschine.
Rattattattattaaa... machte der Zug. Hinter meinem Rücken hörte ich Opapa erzählen, daß er viel auf Reisen sei: »... immer allein...« Worauf die mit den Locken einen schnurrenden Laut des Bedauerns ausstieß.
Jakob setzte seine Kniebeugen fort, die ich mit steigender Besorgnis beobachtete. Vielleicht mußte er mal und konnte nicht? Aber er war doch bisher noch nie verstopft gewesen, im Gegenteil. — Da hielt der Zug. Draußen rannten ein paar Menschen hin und her. Jakob wurde wieder normal, besah sie sich mit schiefem Kopf und trat aufgeregt von einem Fuß auf den andern: »Ultrus-pultrus-Kakao!« bemerkte er aus dem Schnabelwinkel.
Der Zug fuhr an, und alsbald nahm er auch seine Kniebeugen wieder auf. Hinter mir bemerkte die Dame, daß sie sich nie etwas aus jungen Männern gemacht habe, man verschwende nur seine Zeit mit solch tölpelhafter Unerfahrenheit. Opapa erwiderte in kollerndem Brustton, daß er das verstehen könne. Als ich mich umdrehte, um ihn auf Jakobs seltsames Benehmen aufmerksam zu machen, sah ich, daß er sein Monokel eingeklemmt hatte, das er zu Hause nur aus Spaß aufsetzte und zu dem die Mama immer sagte: »Ach tu’s weg, Papa, du siehst damit so blöd aus, wie ‘n Gockel auf dem Mist!«
Das Monokel erschütterte mich jedenfalls so, daß ich die Frage vergaß und mich wieder Jakob widmete. Was konnte er nur haben? Und dann plötzlich wußte ich es: Jakob folgte mit seinen Blicken wie hypnotisiert den Telegrafendrähten, die am Fenster vorüberschwangen. Nach jedem Pfahl senkten sie sich, schnellten dem nächsten aufsteigend entgegen und sanken wieder ab. Und Jakob machte, fasziniert wie ein Huhn, diese Bewegungen mit. Das war es! Welch eine interessante Entdeckung! Ich wandte mich, den flatternden Vogel auf der Hand, stürmisch um und brach mitten in das lebhafte Geplauder. Opapa erzählte gerade etwas von »meinen Direktoren, denen ich schon soundso oft gesagt habe, sie sollten...«
»Opapa«, schrie ich, »jetzt weiß ich, warum er so wippt... es ist wegen der Drähte... paß mal auf!«
Ich wollte mich mit Jakob wieder zum Fenster wenden, um das Phänomen der hypnoiden Kniebeugen zu produzieren, hielt aber inne, denn in Opapa ging eine tragische Veränderung vor. Er warf mir einen kurzen, verzweifelten Blick zu, lief rot an und sackte dann irgendwie in sich zusammen. Die mit den Locken kulpste die Augen noch mehr heraus, dann stieß sie einen zischenden Laut aus, als ob man ein Gummischwein angestochen habe, und sagte mit einem Unterton, der gar nicht mehr girrte:
»Opapa? Einen reizenden Enkel haben Sie!«
Eine Weile war Schweigen, während ich aufmerksam vom einen zur andern sah. Dann raffte sich Opapa auf und legte mir die Hand auf den Kopf: »Ja... und wir vertragen uns gut, nicht wahr, Hänschen?«
Er zwinkerte mir zu, ich
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