Gute Nacht Jakob
zwinkerte zurück: »Klar, Mann!«
Da mußte auch die Dame lachen und hatte ihre Grübchen wieder. Der Zug bremste. »Wir sind da«, sagte Opapa, ließ das Monokel fallen und stand auf.
Er verbeugte sich: »Es war mir ein Vergnügen, gnädige Frau!«
Sie lächelte gnädig: »Ganz auf meiner Seite — leb wohl, Hänschen!«
Ich gab ihr die Hand, verbeugte mich und sagte: »Es war mir ein Vergnügen, gnädige Frau!«
Noch als wir draußen auf dem Bahnsteig standen, hörten wir sie lachen. Warum eigentlich?
Die nachfolgenden Ereignisse steigerten sich dramatisch. Zunächst gingen wir ins Restaurant >Seeblick< und tranken teils Bier, teils Brauselimonade. Opapa trank drei Bier und ich zwei Brauselimonaden. Dann sagte Opapa, ich sollte mal auf seinen Hut und Stock aufpassen, und ging weg. Als er wiederkam, sagte ich, er sollte nun mal den Jakob nehmen, und ging auch weg. Als ich wiederkam, hatte er einen Schnaps vor sich stehen und war außerdem an Hand von Jakob, der allgemeines Aufsehen erregte, mit zwei Damen am Nebentisch in ein Gespräch geraten, die mit weggebogenem kleinem Finger belegte Brote aus dem Papier aßen. Opapa langte in die Tasche, gab mir einen Groschen und ermutigte mich, aus einem Automaten in Gestalt einer Henne, der am Eingang des Lokals stand, ein mit Bonbons gefülltes Blechei zu ziehen, außerdem sollte ich den Jakob mitnehmen. Ich zog und hielt ein prächtiges Blechei in der Hand. Es ging aber nicht ums Verrecken auf, ich brach mir nur die Nägel dabei ab. Drei Hosenmätze, die höchstens in die erste Vorschulklasse gingen, beobachteten interessiert meine Bemühungen.
»Willste mein Messer?« fragte der eine.
»Quatsch!« antwortete ich. »Außerdem... wer hat ‘n dich gefragt? Paß auf...«, und ich legte das Ei in den Sand und machte Jakob darauf aufmerksam, indem ich mit dem Finger daran stieß. Er beäugte es von allen Seiten, sprang aber statt dessen auf einen Gartenstuhl und begann sich den Frack zu ölen. Ich nahm ihn wieder herunter und setzte ihn abermals vor das Ei. Er tippte einmal mit dem Schnabel dagegen und fraß dann einen Stein, den er im Kropf aufbewahrte. »Schmeiß es doch einfach hin!« sagte einer von den Hosenmätzen.
Um die verpatzte Situation zum Abschluß zu bringen, tat ich es. Es öffnete sich aber nicht. In diesem Augenblick, als es so über den Sand kollerte, stürzte sich Jakob drauf, führte zwei gewaltige Schnabelhiebe dagegen, und — auf war das Ei! Es gab keinen stolzeren Vater als mich. Ich überließ Jakob ein Bonbon, nahm ihn wieder auf die Hand, steckte das Ei in die Hosentasche und ging zu Opapa zurück. Die beiden Damen waren weg. Er saß allein, rauchte eine Zigarre aus der Spitze und hatte den Strohhut schief auf dem Kopf.
»Wollen wir jetzt nicht in den Wald gehen?« fragte ich.
Er sah mich etwas starr an: »Ach... eigentlich ist mir ziemlich heiß.«
»Och, Opapa«, bat ich, »sieh mal, da hinten ist doch schon der Wald und die Wiese davor!«
Er seufzte, rief die Kellnerin, zahlte und erhob sich. Dabei geriet er mit dem Fuß in den Tisch, und als er den Fuß heraus hatte, geriet er mit dem Stock in den Stuhl. Er räusperte sich mächtig, holte den Stock schließlich auch heraus und zog mit mir los, indem er sich ganz steif und gerade hielt. Wir marschierten eine Viertelstunde geradeaus, dann waren wir auf der Wiese. Dort nahm Opapa den Hut ab und die Jacke über den Arm, den Hut befestigte er mit einer Klammer am Hemd, damit er ihn nicht verlor. Wir vollbrachten eine gewaltige sportliche Leistung, indem wir ungefähr hundert Meter bis an den Waldrand gingen. Da ließ sich Opapa nieder, legte sich in die Wiese, zog den Strohhut über die Augen und sagte etwas unklar: er sei das Hauptquartier, und ich sollte einige Erkundungsstöße unternehmen.
Um uns waren hohes Gras und viele Blumen. Es war alles viel, viel schöner und wirklicher als auf dem Hof, und ich wollte erst gar nicht glauben, daß es das wirklich noch gab. Ich sah sogar schon Schmetterlinge und Käfer. Jakob setzte ich hin. Er saß eine Weile ganz erstarrt einfach da, und diese Erschütterung, dieses Staunen war die schönste Belohnung für mich.
Nach Überwindung dieser Erschütterung begann er gravitätisch das Gras zu durchschreiten und hier und dort ein unaufmerksames Insekt vom Halm zu picken. Zitronenfalter, Kohlweißlinge und schöne grüne Raupen verschwanden in seinem Schnabel wie in einem Zerreißwolf. Dann begann er mit dem Schnabel ein Loch auszubohren, in dem
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