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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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wahrscheinlich eine Grille saß.
    Ich hockte neben ihm im Gras und wunderte mich über mich selbst. Sonst tat ich doch keinem Tier etwas zuleide, ich schlug sogar die Mücken nicht tot, sondern fing sie, wenn möglich, nur und warf sie wieder weg. Und vor allem liebte ich die Schmetterlinge. In ihrer zarten Gaukelei schienen sie mir kaum noch von dieser Welt zu sein, so schön und so harmlos, niemandem etwas antuend, vom Überfluß des Honigs lebend, der sowieso da war. Und hier sah ich zu, sah mit Befriedigung zu, wie all das von einem schwarzen Ungeheuer auf gepanzerten Krallenbeinen vernichtet wurde. Dunkel begann ich zu ahnen, wie sehr Jakob mein Leben verändert hatte, und nicht nur mein Leben, das Leben der ganzen Familie eigentlich. Auf seltsame Weise war alles anders, irgendwie verschoben, aus dem Gleis gerückt. Besonders Opapa war ganz anders, viel jünger, nicht mehr so starr, und auch wir beide standen anders zueinander, seitdem diese kleine schwarze Federkugel ihren Schabernack um uns herum trieb. Früher waren wir zwei ernste Sachverständige, jetzt zwei Lausbuben. Das alles wurde mir natürlich nicht so präzise klar, aber irgendwie verstand ich es doch.
    Unten glitzerte die Sonne im See, die Bienen summten in den Blumen, aus den Gräsern tauchte hier und dort Jakobs freche Visage auf. Er warf einen kontrollierenden Blick zu mir herüber, ob sein Mensch auch noch da sei, und vertiefte sich dann wieder in seine Beschäftigung. Es war einer jener Momente, die als Inseln des vollkommenen Glücks in meiner Erinnerung haften blieben. Im ganzen gibt es kaum ein halbes Dutzend solcher Momente in meinem Leben.
    Der Moment war, wie das in seiner Natur liegt, kurz. Er endete damit, daß sich eine merkwürdige und zunächst nicht definierbare Empfindung meiner zu bemächtigen begann. Das nächste, was ich feststellte, war, daß es eine unangenehme Empfindung war. Und kurz darauf gelang es mir, sie zu lokalisieren und zu definieren: Ich hatte nasse Hosen. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, die Nässe kam von außen, nämlich von der feuchten Wiese, die offensichtlich noch Erinnerungen an die kürzliche Schneeschmelze in sich barg. Im gleichen Augenblick richtete sich hinten Opapa auf und machte ein nachdenkliches Gesicht.
    »Hast du auch nasse Hosen?« rief ich.
    Er fuhr sich mit den Händen ans Hinterteil: »Donnerwetter — ja, du hast recht!« Er stand auf, ergriff seinen Strohhut und fühlte dann wieder an seiner Hose. »Das ist gefährlich«, sagte er endlich, »man kann sich sehr leicht etwas holen, wir müssen sofort zurück ins Lokal und etwas dagegen tun.«
    Ich griff Jakob, der gerade einen Regenwurm zerlegte, und wir gingen im Eilmarsch zurück in das Restaurant.
    »Was machen wir denn dagegen, Opapa?« fragte ich, atemlos neben ihm herhampelnd.
    »Das ist je nach Alter verschieden«, erwiderte er, »ich werde einen großen Grog trinken und du machst derweilen einen Dauerlauf dreimal um das Lokal. Beides regt die innere Temperatur an.«
    Gesagt, getan. Opapa bestellte sich einen großen Grog und behielt Jakob, ich rannte dreimal ums Restaurant, bis ich schweißbedeckt war und mir das Herz weh tat. Als ich wiederkam, bestellte sich Opapa gerade den zweiten Grog: »Man muß ihn schnell austrinken«, sagte er entschuldigend, »sonst wirkt er nicht.«
    Oben auf dem Tisch saß Jakob und zerhackte Zahnstocher. »Ich habe ihm eine Extrapackung bestellt«, erklärte Opapa. »So, und nun setz dich hin, wir essen Mittag.«
    Das war ein Ereignis! Erst gab es eine Nudelsuppe, hinterher Gulasch und Kartoffeln und dann einen Nachtisch mit französischem Namen, der eigentlich nur ein Pudding in einer sehr süßen Soße war. Omama machte besseren. Aber unter den Bäumen und dem See draußen, auf dem jetzt ein Raddampfer seinen Weg mahlte, war es schon großartig.
    Nach dem Essen gähnte Opapa sehr, riß sich aber dann zusammen und sagte, wir wollten noch einen Spaziergang machen. Wir wanderten über die Wiese, bis wir in eine Schonung kamen. Dort wuchsen ungefähr drei Meter hohe Bäume zwischen alten breiten Baumstümpfen. Opapa gähnte wieder, dann holten wir unsere Taschentücher heraus, breiteten sie über die Baumstümpfe und setzten uns hin. Wenigstens war es trocken. Jakob sichtete erst eine Eidechse. Er schoß ihr nach, aber sie war schneller als er und verschwand raschelnd in dem dürren Wintergras. Dann begann er in dem Mulm des Baumstumpfs zu bohren, aber es kamen nur Ameisen zutage, die ihm zuerst über

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