Gute Nacht Jakob
die Füße liefen, dann jedoch weiter nach oben krabbelten und in seinen Federn verschwanden. Er erschrak darüber sehr, sprang auf einen kleinen Zweig und schüttelte sie dann weg. Opapa gähnte schon wieder, nieste und sah auf die Uhr. Die Sonne schien recht heiß. Wir dösten eine lange Weile.
Schließlich begann mich der Ameisenhaufen in dem Stamm zu interessieren. Ich nahm ein Bonbon aus dem Blechei, lutschte es feucht und legte es in den Ameisenhaufen vor den Haupteingang. Es wurde ein Volksfest daraus! Zum Schluß brachten sie es doch tatsächlich fertig, das dicke Bonbon von der Stelle zu rücken!
Da fiel mir Jakob ein. Er war weg! Wie weggepustet. Mir wurde einen Moment ganz schlecht. Dann sprang ich auf und stürzte in die Schonung. Gott sei Dank — da saß er, nur ein paar Bäume weiter in der Spitze.
In diesem Augenblick sagte Opapa: »Wo bist du denn? Ich habe Kaffeehunger!«
»Hier bin ich... Jakob ist auf einen Baum geklettert...«
»Na, dann hol ihn, und nachher wollen wir Dampfer fahren.«
Dampfer fahren — nein, das war wirklich der Tag aller Tage. »Schnell«, rief ich, »komm ‘runter, Jakob, wir fahren Dampfer, stell dir vor — Dampfer!«
Jakob blieb oben auf dem Zweig, beäugte mich, kratzte sich hinter dem Ohr und sagte sehr deutlich: »Armleuchter!« Als er keine Anstalten machte herunterzukommen und auch nicht darauf reagierte, daß ich mit den Bonbons in dem Blechei ratterte und das Ei ins Gras warf, raffte ich meine gesamten turnerischen Kenntnisse zusammen und kletterte auf den Baum. Jakob war ungeheuer amüsiert und begleitete meinen Aufstieg mit einer großen Anzahl aufmunternder »Schulmeister!« Als ich oben war und nach ihm langte, flatterte auf den nächsten Baum. Ich kletterte auch auf diesen. Worauf er den übernächsten erflatterte. Mein Gesicht war schon ganz zerkratzt, überall an meinen Hosen war Harz und in meinem Haar viele Tannennadeln. Ich schwitzte wie ein Affe, während ich den dritten Baum erklomm. Jakob wurde immer munterer und quietschte direkt vor Vergnügen.
Ich rief Opapa zu Hilfe: »Opapa... Opapa... komm doch bitte mal schnell, Jakob rückt aus!«
»Das hat uns gerade noch gefehlt!« hörte ich seine Stimme, dann brach er durch die Schonung wie ein Elefant, blieb am Fuß des Baumes stehen und kratzte sich am Kinn.
»Paß auf«, sagte er, »wir treiben ihn in die Enge.« Er knüpfte sein Taschentuch an den Stock, trat damit hinter den Baum und wedelte wild vor Jakob hin und her, während ich auf der anderen Seite heraufkroch.
Jakob erschrak vor dem Tuch, stieg gackernd wie ein Huhn in die Höhe und landete auf dem nächsten Baum. Wir durchtobten die ganze Schonung, traten in Ameisenhaufen, Zweige schlugen uns ins Gesicht, wir schrien, fluchten, bettelten — Jakob wurde völlig verrückt, schließlich entflatterte er immer weiter, wir sahen ihn noch einmal in einer Lücke zwischen den Wipfeln, im Gleitflug, dann war er weg...
Wir sanken erschöpft zu Boden.
Nach einer Weile rafften wir uns auf und trampelten herum, immer noch rufend, aber auch mit dem Zweck, erst mal wieder den Ausgang zu finden. Dann standen wir wieder auf der Wiese, Opapa mit schweißdurchtränktem Kragen, den Schlips nach unten gerutscht, die Weste aufgerissen, das Haar voll Tannennadeln. Ich stand neben ihm und zitterte. Er knöpfte sich die Weste zu, polkte sich die Nadeln aus dem Haar, klopfte sich die Hosen ab, dann säuberte er mich. Schließlich strich er mir über den Kopf und nahm mich bei der Hand: »Komm, Hänschen, es hat keinen Zweck... gehen wir!«
Ich sah ihn entsetzt an, dann heulte ich: »Ich bleibe hier!«
»Aber das ist doch unmöglich, sei doch vernünftig!«
Ich krallte meine Finger in seine Hand: »Er hat doch die Flügel beschnitten... er kann doch nicht fliegen! Der Bussard wird ihn holen oder der Fuchs... wir können doch unser Jaköble nicht hierlassen!«
»Er hat die Flügel viel zu wenig beschnitten«, grollte Opapa, »er wird sich schon ernähren. Omama und die Mama ängstigen sich zu Tode, wenn wir nicht kommen!« Er beugte sich nieder und gab mir einen Kuß: »Komm... sei vernünftig... wir fahren morgen wieder her!« dann packte er mich an der Schulter und trug mich halb von dannen. Ich immer mit dem Kopf nach rückwärts gewandt, über alles mögliche stolpernd — so zogen wir ab, eine geschlagene Armee.
Dabei war es ein so herrlicher Tag! Unten legte gerade der Dampfer, mit dem wir hätten fahren wollen, von der Brücke ab, die Sonne stand
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