Gute Nacht Jakob
mich. Absolut betrachtet, waren sie immer noch ganz anständig groß, aber keine Überhasen, und vor allen Dingen, womit hatte diese verdammte Katze überhaupt einen Hasen verdient?
In den Feiertagen fraßen wir traditionsgemäß sämtliche Eier aus Schokolade, Marzipan und Gelee auf, und es wurde uns ebenso traditionsgemäß übel danach. Ich hoffte im stillen, daß Jessika auch ihren Onkel-Hasen nachschieben würde, aber sie tat es nicht, weil ich es nicht tat. So belauerten wir uns gegenseitig, jeder mit seinem Hasen, den wir argwöhnisch bewachten. Jessika hatte ihren in der Puppenküche versteckt. Warum versteckte sie ihn überhaupt? Das war wieder einer ihrer üblen Tricks, genauso wie das Anschmiegen an die Mama bei der Begrüßung. Es stempelte mich sozusagen von vornherein zu einem Dieb und Strolch, der hinter ihrem blöden Hasen her war.
Sie hatte jedoch nicht mit meinem besten Verbündeten, Jakob, gerechnet. Eines Tages, als sie mich wieder reizte, indem sie mir zum hundertsten Male erzählte, »ich habe einen ebenso schönen Hasen wie du«, hörten wir es nebenan poltern. Jessika schoß wie ein angestochener Eber um die Ecke, ich hinterher. Und da sahen wir Jakob, der mit beiden Füßen in der Puppenküche stand und Groß-Aufräumen spielte. Das ganze Puppengeschirr lag schon auf der Erde, und gerade zerrte er aus Leibeskräften den Hasen aus der Ecke. Er hatte ihn an dem kleinen Messingglöckchen gepackt, das ihm an einem rosa Bändchen um den Hals hing. Jessika fuhr kreischend mit gezückten Krallen auf ihn los. Jakob flatterte mit dem Hasen hoch, der Hase fiel herunter und lag da mit abgebrochenem Kopf. Innerlich jubelnd, ergriff ich meinen Vogel und brachte ihn in Sicherheit, während sich sämtliche Frauen um das heulende Gör bemühten. Man empfahl Jessika dringend, den Hasen nunmehr ganz aufzuessen, aber sie strampelte, schrie, schlug um sich und war durch nichts zu beruhigen. Dabei sah ich genau, daß sie das alles nur spielte, um Jakob und mich noch schwärzer erscheinen zu lassen. Schließlich holte die Tante, mit einem gram-voll-vorwurfsvollen Blick auf uns beide, eine Tube mit Klebstoff und pickte den Kopf des Hasen wieder an.
Jessika triumphierte. Aber ihr Triumph kam zu früh. Der Abend nahte, es war ein später Frühling, und Omama ließ, der Tante wegen, kräftig heizen. Unter dem brodelnden Gaslicht, während die Erwachsenen sich unterhielten, saßen Jessika und ich uns gegenüber, jeder mit seinem Osterhasen. Plötzlich sah ich, wie Jessikas Hase ein nachdenkliches Gesicht machte. Er schien sich etwas zu überlegen und legte zu diesem Zweck den Kopf auf die Seite. Da, wo er geleimt war, begannen sich lange Fäden zu ziehen. Die Ofenhitze hatte den Klebstoff aufgeweicht. Na, das war ja großartig!
»Paß auf, Jessika«, sagte ich, »dein Hase nickt mit dem Kopf!«
Sie sah herunter und wurde ganz blaß vor Wut. Dann riß sie das Maul auf, kniff die Augen zu und begann zu brüllen. Die Tante rannte sofort nach der Klebstofftube, und der Hase wurde wieder geleimt. Das wiederholte sich jeden Abend, bis sein ganzer Hals nur noch aus Klebstoff bestand. Nach vier Tagen hielt Jessika das nicht mehr aus und fraß ihren Hasen auf einen Sitz auf, mit dem Klebstoff. Der Leim bekam ihr sehr schlecht. Sie mußte ins Bett und bekam, um meinen Triumph vollzumachen, Rizinusöl.
Am liebsten hätte ich vor Freude gejubelt, aber ich beherrschte mich und folgte Opapa, der vom Tisch aufgestanden und nach vorn gegangen war. Dort saß er an seinem Schreibtisch mit Jakob auf dem Knie, er kraulte ihn auf dem Kopf und sagte: »Bravo, Jakob, wir Männer müssen zusammenhalten!«
Merkwürdig — von diesem Augenblick an schien die von Jessika ausgehende Behexung gebrochen, und mehr noch, sie schien ihre Niederlage anzuerkennen und drehte — echt weiblich — um hundertachtzig Grad bei. Sie nannte mich nicht mehr »blödes Mannsbild« und »Scheißkerl«, sondern »Hansi« und bestand am nächsten Tage darauf, daß ich ihr einen Kuß auf den Mund gäbe. Ich tat es, im Interesse des Familienfriedens. Sie ließ auch Jakob mit der Puppenküche spielen, ohne ihm den Hals umzudrehen, und versteifte sich darauf, Hand in Hand mit mir spazierenzugehen, was mir schrecklich war, wegen der anderen Jungen, und weil unsere Hände dabei so schwitzten. Als die Frühreife von nebenan wieder als Seeräuberbraut durch den Keller getragen werden wollte, fuhr Jessika wie eine Tigerin auf sie los, sie rissen sich an den Haaren und
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