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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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traten sich vor die Schienbeine, daß es eine Wonne war. Dann kletterte Jessika mir auf den Buckel und ich mußte sie durch den Keller tragen. Ich kam mir direkt interessant dabei vor.
    Allmählich gewöhnte ich mich an sie, und es tat mir richtig leid, als sie abfuhr. Aber wir würden uns ja bald wiedersehen, zu den Pfingstferien auf Onkel Gustls Schloß in Böhmen. Unser Hausarzt würde mir ein Attest schreiben, daß ich wegen Schwächlichkeit zwei Wochen länger bleiben könnte, damit sich nämlich das Fahrgeld lohnte.
    Als sie abgefahren war, fragte ich Opapa, ob ich Jessika heiraten könnte. Er sah mich verächtlich an:
    »Gott sei Dank nicht!«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil sie deine Kusine ist.«
    »Aha!« sagte ich. Aber ich verstand es nicht. Kusine war anscheinend etwas sehr Kompliziertes.

DAS SCHLOSS

    Jessikas Vater, mein Onkel Gustl, saß, wie ich schon erzählte, auf einem großen Schloß, das einem uralten und steinreichen Adelsgeschlecht gehörte. Von diesem Geschlecht war nur noch ein Mitglied, nämlich eine Gräfin, übrig. Diese Unglückliche besaß sechzig Schlösser, wußte aber offenbar mit keinem etwas richtig anzufangen, denn sie wohnte in Paris.
    Das Schloß, das mein Onkel unter sich hatte — nebst gewaltigen Forsten, vielen Sägewerken und ähnlichen nützlichen Einrichtungen —, war ein riesiger Bau, ein dreistöckiges Rechteck mit weit über hundert Zimmern, großen Sälen, einem Archiv mit wunderschönen alten Pergamenten in Schweinsleder gebunden, einem großen Park und einem Marstall. Dieser ganze Komplex wurde von nur elf Personen bewohnt, nämlich von Tante und Onkel, Jessika und ihrer jüngsten Schwester Josefa (an der alles dick und gemütlich war und die ich nicht für voll nahm — sie mich auch nicht), der Köchin Anuschka, der Magd Marischka, dem Kutscher Ciglasch, dem Verwalter Niclas und seiner Frau und dem Gärtner Manek.
    Vor zehn Jahren war die Gräfin einmal höchstpersönlich auf dem Schloß gewesen, aber sofort wieder ausgezogen, weil sie mit zwei Stühlen, die der Holzwurm sorgfältig unterhöhlt hatte, zusammengebrochen war. Auch erschreckten sie wohl der Muff und die Leere der vielen Räume mit ihrem langsam vermodernden Inventar. Sie fiel dann irgendeiner Bürgerabordnung in die Hände, der sie großzügig versprach, daß der Park jeden Sonntagmittag bis zum Abend für das Publikum geöffnet würde. Das Publikum machte seither von dieser höchstgräflichen Erlaubnis eifrig Gebrauch, wobei das Archiv eine besondere Anziehungskraft entwickelte. Die Bürger bezogen nämlich von dort ihr Toilettenpapier, das sie den Schweinslederbänden entnahmen. Die Einbände ließen sie freundlich stehen, vielleicht weil sie für Schuhsohlen zu mürbe waren. Onkel Gustl machte darüber einen Bericht an die Verwaltung in Paris, auf den niemals eine Antwort erfolgte. Im übrigen beschränkte er sich darauf, einige besondere Kostbarkeiten vor der trivialen Verwendung zu retten, und ließ sonst den Dingen ihren Lauf, denn wenn man auf den Bürgermeister, den Apotheker, den Redakteur und den Metzger beim abendlichen Tarock angewiesen ist, kann man ihnen unmöglich das schöne mürbe Toilettenpapier entziehen, ohne seine Gemütlichkeit zu gefährden.
    Und Onkel Gustl war sehr für Gemütlichkeit: ein großer, stattlicher Mann mit kugelrunden, großen braunen Augen, einem schwarzen Schnurrbart, den er mit Brillantine und Schnurrbartbinde in einer aufwärts gesträubten Verfassung erhielt, und mit den von mir so bewunderten dicken Waden in grünen Jägerstrümpfen.
    Ich bewunderte ihn überhaupt maßlos und suchte ihn in jeder Weise zu kopieren. Wenn er auf seiner Kanzlei saß und in quadratierte Bogen unendliche Zahlen von Holzkubikmetern eintrug, saß ich ihm gegenüber und fertigte ebensolche Zahlenreihen an. Ging er mit Büchse und Tabakspfeife fröhlich pfeifend in den Forst, so stolperte ich mit meiner Luftdruckbüchse und einer von ihm abgelegten, entsetzlich stinkenden Tabakspfeife im Mund neben ihm her. Selbstverständlich hatte ich auch ein grünes Jägerhütchen mit einer Feder auf. Es war nur schwierig, mit ihm Schritt zu halten, zwei Schritte auf jeden von ihm waren zu schnell, einer war zu langsam, und so versuchte ich es mit einer Kreuzung zwischen Laufschritt und Hüpfen, die er als >Hundegalopp< bezeichnete.
    Jakob wurde in diesem Kreis zunächst nicht ungünstig aufg-nommen. Ich hatte ihm für die Fahrt ein größeres — natürlich gebrauchtes — Bauer von dem

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