Gute Nacht, mein Geliebter
weg. Der Tumor, meine ich. Wir wollen hoffen, für immer.«
»Schrecklich, diese Krankheit!«
»Ja. Man lernt das Leben wirklich schätzen, wenn man so krank wird.«
Sie goss Kaffee ein.
»Leider habe ich keine Teilchen.«
»Umso besser! Kuchen und Teilchen bekommt man viel zu oft.«
»Ich nehme an, Sie kommen aus einem bestimmten Grund?«
»Ich komme wegen Berit. Berit Assarsson, Ihrer alten Klassenkameradin.«
Ihr Bauch krampfte sich zusammen.
»Berit, ja.«
»Justine, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber es hat den Anschein, dass Sie Unglück bringen. Menschen in Ihrer Nähe stößt etwas zu, sie verschwinden oder sterben.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich daran schuld bin?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber es ist schon seltsam: Als Ersten traf es Nathan Gendser, Ihren Bekannten. Er verschwand einfach so im Dschungel, und niemand hat ihn seitdem mehr gesehen. Dann traf es Martina Andersson, eine junge, hübsche und lebensfrohe Journalistin, die ganz offensichtlich ein Auge auf diesen Gendser geworfen hatte. Man findet sie kaltblütig mit einem Dschungelmesser erstochen. In Ihrem Hotelzimmer.«
»Ein Auge auf ihn geworfen?«, wiederholte sie.
»Ich habe selbstverständlich mit den anderen Teilnehmern der Exkursion gesprochen. Das dürfte Ihnen doch auch nicht entgangen sein.«
»Sie erweckte manchmal den Eindruck, gerne zu flirten, aber das war mehr so eine Art, wie sie manche junge Frauen haben. Übrigens flirtete Nathan auch ganz gerne, und ich kann nicht leugnen, dass mich das manchmal verletzt hat. Außerdem ist doch klar, dass ihm Martinas Interesse schmeichelte. Im Vergleich zu ihr war er doch ein alter Knacker!«
»Und jetzt diese Frau, Berit. Ihr Mann hat sie als vermisst gemeldet. Bei der Gelegenheit bin ich auf Ihren Namen gestoßen. Sie war ausgerechnet bei Ihnen, bevor sie verschwand.«
»Verdächtigen Sie mich in irgendeiner Weise? Wollen Sie mich ins Gefängnis bringen?«
Er sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an.
»Ich möchte mich nur ein bisschen mit Ihnen unterhalten.«
»Ist das hier etwa eine Art Verhör?«
»Jetzt beruhigen Sie sich bitte! Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
Sie presste die Hände vors Gesicht, ihr Herz pochte so sehr, dass sie dachte, er müsse es hören.
»Okay«, sagte sie leise. »Die Sache mit Nathan … Ich bin darüber noch nicht hinweggekommen, falls Sie das geglaubt haben sollten, jedes Mal wenn sein Name fällt … Wir wollten heiraten, ich wäre heute schon seine Frau. Ich leide darunter, ich sehe ihn dort im Regenwald liegen, verletzt, vielleicht … tot … und wie die wilden Tiere …«
Hans Nästman trank einen Schluck Kaffee. Er ließ sie reden. Er lehnte sich gegen die Stuhllehne zurück, und als sie ihre Hände wieder herabsinken ließ, lächelte er sie an.
Sie musste von jenem Samstagabend erzählen, jedes einzelne Detail wollte er wissen, er ließ sich zeigen, wie sie genau gesessen hatten, was sie gesagt, gegessen und getrunken hatten. Er erkundigte sich nach ihrem Fuß.
»Ich bin gefallen, als ich bei Glatteis gejoggt bin. Er ist wahrscheinlich verstaucht.«
»Ihr Mann sagt, sie habe Reuegefühle gehabt. Ihre Kindheit schien sie wieder eingeholt zu haben, sie war die geborene Anführerin und hatte offenbar einigen Schulkameraden das Leben schwer gemacht, unter anderem Ihnen. Das schien sie jetzt zu quälen.«
»Richtig, sie … sprach es einmal an.«
»Wie sehen Sie die Sache?«
»Ich sagte ihr, Kinder seien nun mal so, ich war selber kein Unschuldslamm, ich konnte auch ganz schön gemein sein, das ist bei Kindern doch so, nicht wahr? Ich meine, denken Sie doch mal nach! Wie vielen Jungen haben Sie eine aufs Maul gegeben, als Sie noch ein Kind waren?«
»Berit suchte Sie jedenfalls auf, um darüber zu sprechen.«
»Ach Blödsinn, nicht nur deshalb. Wir waren alte Klassenkameradinnen, sie sucht im Moment nach ihren Wurzeln, versucht, auf alles eine Antwort zu finden. Sozusagen.«
»Hm. Warum ist sie dann verschwunden? Was denken Sie?«
»Tja, keine Ahnung … Aber es ist doch gerade erst Montag. Sie taucht bestimmt wieder auf!«
»Sie hat so etwas noch nie gemacht, sagt ihr Mann.«
»Das hatte Nora Helmer in Nora auch nicht – bis zu jenem Abend, an dem sie Mann, Heim und Kinder verließ.«
»Ich habe Nora nicht gelesen.«
»Ibsen.«
»Das weiß ich.«
»Aber ich sage Ihnen das Gleiche, was ich auch ihrem Mann gesagt habe, als er vorhin hier war. Berit ist ganz offensichtlich
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