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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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niedergeschlagen. Sie sieht ihr ganzes Leben als einen einzigen, großen Fehlschlag an, die Ehe, ihre Söhne, die nicht mehr besonders viel Kontakt zu ihr zu haben scheinen, und dann ist da noch die Sache mit ihrer Arbeit. Ihr Chef will die ganze Firma nach Norrland verlegen. Sie können sich vielleicht vorstellen … Sie ist nicht mehr jung, ja, sie ist in meinem Alter. Aber vielleicht wissen Sie auch nicht, welchen Wert eine Frau in unserem Alter hat? Auf dem Arbeitsmarkt … und auf anderen Märkten im Übrigen auch.«
    Vom Speicher war ein Geräusch zu hören. Ein Plumpsen, als wäre etwas umgefallen. Der Polizist stand auf.
    »Was war das!«
    Sie seufzte.
    »Ich besitze einen Vogel. Er ist da oben. Sonst fliegt er immer frei im Haus herum, aber ich bin es endgültig leid, es jedem zu erklären, der vorbeikommt. Deshalb habe ich ihn auf den Speicher gesperrt, als Sie Ihren Besuch angekündigt haben.«
    Sie ging die Treppe hinauf und öffnete die Speichertür.
    »Hallo?«, lockte sie. »Kommst du?«
    Sie hörte ihn nicht. Sie trat in die Dunkelheit und sah sofort, dass ein Stapel alter Zeitschriften von einem Schrank gefallen war. Sie hatten ihrem Vater gehört. Der Vogel saß zwischen den Büchern, zerrte an den Einbänden und warf ihr wütende Blicke zu.
    »Oh, lass sie in Ruhe!«, schimpfte sie. »Papa wäre rasend vor Wut geworden!«
    »Was ist?«, fragte Hans Nästman, er stand jetzt hinter ihr, hielt sich am Geländer fest. Wenn sie nun mit ihrem Bein nach hinten ausschlug und zutrat? Die Treppe war steil, er würde vor lauter Überraschung den Halt verlieren und mit dem Schädel geradewegs auf den Treppenabsatz stürzen. Wahrscheinlich war er noch schwach und mitgenommen von seiner Krankheit und würde keinen Widerstand leisten.
    Sie tat es nicht.
    Der Vogel flatterte über ihren Köpfen.
    »Er ist sauer«, sagte sie. »Er mag es nicht, wenn man ihn einsperrt.«
    »Nein«, sagte Hans Nästman. »Das geht den meisten so. Und trotzdem werden Verbrechen begangen.«
     
    Erst nach halb fünf war sie wieder allein. Sie ging sofort zum Telefon und wählte Hans Peters Nummer. Wieder hob niemand ab. Konnte er schon zur Arbeit in die Stadt gefahren sein? Wie hieß das Hotel noch, in dem er arbeitete, war es nicht irgendetwas mit Rosen? Sie holte das Branchenbuch und suchte unter Hotels und Pensionen, fand es fast sofort, Drei Rosen auf der Drottninggata. Sie schrieb die Telefonnummer auf einen Notizblock.
    Sie ging hinaus und ließ den Wagen an. Er konnte so früh noch nicht im Hotel sein, so früh fing er nicht an. Sie fuhr zur Fyrspannsgata und parkte am Friedhof. Es war ein wolkenverhangener Tag. Der Wind zerrte an ihren Haaren und Kleidern, ihr war kalt bis ins Mark.
    Zuerst ging sie zum falschen Haus, erinnerte sich nicht an die Hausnummer. Nachdem sie eine Zeit lang umhergeirrt war, stand sie schließlich vor Hans Peters Haustür. Entfernt hörte sie gedämpfte, rhythmische Schritte, dann das Geräusch laufenden Wassers. Ein schwacher, fast unmerklicher Geruch von Stein und Marmor. Sie sah seinen Namen, zu lang, um ganz Platz zu finden, H P Bergman, zweite Etage.
    Es gab keinen Aufzug. Langsam ging sie die Treppen hoch zu seiner Wohnung. Wieder sah sie seinen Namen.
    Nein. Er war nicht zu Hause. Sie klingelte ein paar Mal an der Tür, und als er nicht öffnete, spinkste sie durch den Briefeinwurf. Sein Duft, der Duft von Hans Peter und allem, was zu ihm gehörte. Sie rief mehrmals hinein, sah aber schließlich ein, dass die Wohnung leer war.
    Sollte sie sich hinsetzen und warten? Oder war er schon in die Stadt gefahren? Ja. Das könnte er getan haben. Es hatte keinen Sinn. Sie riss ein Blatt von ihrem Notizblock ab und schrieb seinen Namen darauf, Hans Peter, schrieb sie, ich sehne mich ganz furchtbar nach dir. Verzeih mir, falls ich dich verletzt haben sollte. Justine.
    Sie faltete das Blatt in der Mitte und schob es durch den Briefschlitz. Es fiel direkt auf die Türmatte, sie sah es dort liegen und konnte einen Zipfel seiner Winterjacke erkennen, sie hing an einem Haken.
    Plötzlich begann sie zu weinen.

5. KAPITEL
    Der Vogel war in der Küche. Sie hatte vergessen, ihn zu füttern. Was hatte sie noch da? Tiefgefrorenes Hackfleisch im Gefrierfach? Nein, nicht einmal das. Es war zwanzig vor sechs.
    »Ich komme gleich wieder«, sagte sie. »Ich fahre noch mal los und gehe einkaufen.«
    Sie fuhr zum Einkaufszentrum. Für einen Montagabend standen dort viele Autos, aber sie fand einen Parkplatz gleich neben den

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