Gute Nacht, mein Geliebter
anbieten?«
»Ich möchte keinen Kaffee, ich möchte nichts.«
Der Vogel saß auf der Lehne von Berits Stuhl. Als er den Mann erblickte, schrie er. Tor Assarsson zuckte zusammen.
»Oh, verdammt, was zum Teufel ist denn das?«
»Das fragt jeder«, sagte sie müde. »Es ist ein Vogel, mein Haustier.«
Er blieb stehen. Justine streckte den Arm aus, der Vogel hüpfte auf ihn, stieß sich von ihm ab und flog in einem Kreis durch das Zimmer, ehe er sich schließlich oben auf dem Bücherregal niederließ.
Tor Assarsson hatte die Arme über den Kopf erhoben.
»Wie kann man sich nur so ein Haustier anschaffen!«
Sie schwieg.
»Kann man es jetzt wagen, sich hinzusetzen, oder gibt es noch mehr Überraschungen?«
Justine bereute schon, dass sie den Mann hereingelassen hatte. Er klang gereizt und aggressiv, stand wahrscheinlich unter Schock.
Sie sank auf die äußerste Stuhlkante.
»Habt ihr so gesessen?«, fragte er.
»Ich glaube, ja.«
»Wir sind seit vielen Jahren verheiratet, Berit und ich. Erst jetzt begreife ich wirklich, dass sie ein Teil meiner selbst geworden ist. Verstehst du? Und jetzt ist es vielleicht zu spät!«
»Hast du die Post abgewartet?«, fragte sie.
»Ja. Aber da war nichts drin. Außerdem habe ich das hier gefunden.«
Er steckte die Hand in die Tasche und holte einen Pass hervor. Er schmiss ihn mit Wucht auf den Tisch.
»Sie kann also gar nicht verreist sein. Zumindest hat sie nicht das Land verlassen.«
»Wie ist es mit der EU … Braucht man für diese Länder einen Pass?«
»Ich glaube schon.«
»Ja … Es tut mir Leid, aber ich kann da auch nicht viel tun.«
»Darf ich dich etwas fragen, wart ihr Kameradinnen, als ihr in die Schule gingt? Wart ihr dicke Freundinnen, oder so?«
»Nicht direkt.«
»Nein, das habe ich mir gedacht. Sie hat so etwas angedeutet. Du bist gemobbt worden, nicht wahr? Obwohl, zu jener Zeit hat man wohl kaum gemobbt dazu gesagt. Was hat man eigentlich gesagt? Pennalismus?«
»Es ist nicht immer leicht gewesen. Aber ich habe wirklich nicht ständig darauf herumgeritten, es ist ja schon so furchtbar lange her.«
»Sie hat angedeutet, dass sie mit dir darüber sprechen wollte. Sie hat darunter gelitten, hatte ein schlechtes Gewissen bekommen.«
»Tatsächlich.«
»Hat sie das getan, hat sie etwas gesagt?«
Gedanken schossen ihr wüst durch den Kopf, war es wichtig, dass sie jetzt das Richtige antwortete, war es wichtig?
»Ich glaube, sie sagte, dass sie vielleicht nicht immer sehr nett gewesen sei.«
»Das hat sie gesagt?«
»Ich glaube schon.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich erinnere mich nicht mehr genau … Wahrscheinlich, dass ich auch kein Unschuldslamm war.«
Seine Schultern sackten nach unten, sie sah sein Hemd, der Kragen war verknittert, kein Schlips.
»Die Jungen«, sagte er schwerfällig. »Was soll ich nur den Jungen sagen?«
»Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst«, flüsterte sie.
»Aber es ist doch noch gar nicht so viel Zeit vergangen, du musst versuchen, ein wenig Geduld zu haben. Vielleicht ruft sie dich in diesem Moment an, vielleicht ist sie gerade jetzt am Telefon.«
»Dann wird aufs Handy umgeschaltet.« Er klopfte sich auf die Rocktasche. »Ich höre sofort, wenn es zu Hause klingelt. Was hat sie gesagt, als sie gehen wollte? Was genau waren ihre Worte?«
»Oh, daran erinnere ich mich beim besten Willen nicht mehr.«
»Schaute sie schnell auf die Uhr und sagte, oh, nun muss ich aber wirklich los?«
»So was in der Richtung muss es gewesen sein.«
»Ich war übers Wochenende draußen in unserem Wochenendhaus. Sonst hätte ich schon früher reagiert. Warum zum Teufel bin ich nur in unser Wochenendhaus gefahren!«
Er knetete seine Stirn mit den Fingern.
»Also, ich verstehe das einfach nicht. Ich verstehe es nicht.«
»Nein … Man denkt, dass man einen Menschen kennt. Aber dann stellt sich heraus, dass man im Grunde gar nichts von ihm weiß.«
»Ja, das ist wahr, das ist wirklich wahr.«
Justines Telefon klingelte. Sie fuhr auf.
»Entschuldige, bitte.«
Hans Peter, dachte sie. Lieber, süßer, geliebter Hans Peter.
Aber es war ein anderer Hans, Hans Nästman.
4. KAPITEL
Es war stürmisch geworden. Wolken aus trockenem Schnee stoben draußen durch die Luft wie Rauchfahnen. Ihr Gesicht lief rot an.
»Guten Tag, Justine Dalvik. Erinnern Sie sich an mich?«
»Aber ja. Sicher erinnere ich mich. Warum rufen Sie an … gibt es etwas Neues von Nathan?«
»Nein.«
»Also nicht.«
»Und auch nichts Neues
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