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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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was für eine süße, kleine Schnauze guckt denn hier heraus? Es beißt doch nicht, oder?«
    »Nein, nein.«
    Flora saß im Rollstuhl. Sie hob den Kopf, ein flackernder Blick.
    Gunlis ging zu ihr und trocknete ihr das Kinn ab.
    »Schau, Flora, wer da zu Besuch gekommen ist. Und sogar mit einem kleinen Enkelkind. Könnte man doch beinah sagen, nicht wahr?« Sie lachte.
    Justine beugte sich über den Rollstuhl.
    »Hallo, Muttchen!«
    Sie strich Flora über die Wange, tätschelte ihre trockenen, kalten Hände. Platzierte das Bündel mit dem Meerschweinchen auf Floras Schoß, öffnete es vorsichtig. Ein heiserer und keuchender Laut drang aus der Kehle der Alten.
    In der Ferne klingelte ein Telefon.
    »Ich muss ans Telefon«, rief Gunlis. »Oh, ich hätte so gerne zugesehen!«
    Das Meerschweinchen hatte sein Geschäft erledigt. Die Decke war voller länglicher, harter Perlen. Justine schüttete sie in einen Papierkorb. Dann ließ sie das Meerschweinchen auf Floras Schoß umherkrabbeln. Sie sah, wie sich Schweißtropfen auf Floras Oberlippe bildeten. Das Keuchen war schneller geworden, noch röchelnder.
    »Ist sie nicht süß? Sie heißt Rattie. Nein, es ist keine Ratte, es ist ein ganz gewöhnliches Meerschweinchen. Du weißt, dass ich mir immer Tiere gewünscht habe, daran erinnerst du dich doch, oder?«
    Flora hatte die Augen geschlossen. Ihre Haut hatte eine blassgraue Farbe angenommen. Justine nahm das Meerschweinchen wieder zu sich, wickelte es vorsichtig in die Decke. Die Krankenschwester war zurück.
    »Hat sie sich gefreut?«
    »Ich denke schon … Es ist nicht immer ganz leicht, das zu sehen.«
    »Sie sieht etwas mitgenommen aus … Aber sie hat sich bestimmt gefreut. Wie lieb von Ihnen, mit dem Meerschweinchen vorbeizukommen. Wirklich aufmerksam. Darf ich es einmal streicheln?«
    Das andere Bett im Zimmer war nicht bezogen. Auf dem Nachttisch befanden sich keine persönlichen Gegenstände mehr.
    »Hatte meine Mama nicht eine Zimmergenossin?«, fragte Justine.
    Die Schwester zog sie ein bisschen beiseite.
    »Stimmt. Aber leider … Sie ist von uns gegangen.«
    »Das tut mir Leid.«
    »Ja. Aber so ist das im Leben. Früher oder später geht es zu Ende.«
    Justine machte eine Geste in Richtung der Frau im Rollstuhl. Sie hatte die Augen wieder geöffnet, in ihnen lag ein Ausdruck großen Schreckens.
    »Traurig für meine arme Mama. Ich hatte den Eindruck, dass sie gut miteinander auskamen.«
    »Ja, es ist sehr traurig. Aber heute Nachmittag kommt eine Neue. Bei uns stehen die Betten nie lange leer.«
    »Tschüs Mama«, rief Justine. »Ich komme bald wieder. Ich dachte, ich hole dich dann ein bisschen nach Hause. Vielleicht schon morgen, wenn es dir passt?«
    Es zuckte um die Lippen der alten Frau, gurgelnde Laute drangen aus ihrer Kehle.
    »Sie versucht, etwas zu sagen«, meinte die Schwester.
    »Sie hatte so eine schöne Stimme«, seufzte Justine. »Welch ein Schicksal, sie nicht mehr benutzen zu können.«
    »Es gibt welche, denen es noch viel schlechter geht«, erwiderte die Schwester.
    »Das ist wahr. Es gibt immer welche, denen es noch schlechter geht.«
     
    Sie fuhr zur Fyrspannsgata. Er musste nach Hause gekommen sein, musste ihre Nachricht erhalten haben. Sie klingelte, aber auch jetzt öffnete niemand. Als sie den Briefeinwurf öffnete, entdeckte sie auf dem Fußboden eine Zeitung und ein paar Umschläge. Sie konnte nicht erkennen, ob ihr Zettel noch dalag.
    Sie fuhr nach Hause, fand aber keine Ruhe. Lief ziellos durchs Haus, bis sie schließlich in dem Zimmer stand, das ihrem Vater und Flora gehört hatte. Eine wahnsinnige Wut überkam sie. Sie riss die Kleiderschranktür auf und zerrte alles heraus, was Flora gehört hatte, ihre Kostüme, ihre Schuhe, ihre Kleider. In den Kleidern hingen die Erinnerungen, und plötzlich erschien Flora, sie wuchs im Zimmer, wurde wirklich, ihr Mund war weiß und geschlossen. Zieh dich aus, kleines Luder, ich will dir eine Tracht Prügel verpassen.
    Sie hob eines der Kleider auf, es hatte so lange gehangen, dass der Stoff Falten geschlagen hatte und brüchig geworden war. Sie packte es am Saum, mit einem einzigen Ruck riss sie es bis zur Taillennaht auf. Machte weiter, von unten nach oben, bis der Rock in langen Fransen hing. Aber die Florahand kam, schlug ihr auf den Kopf, fest und schallend.
    »Du bist nie ganz normal gewesen, zieh dich aus, damit ich dir Vernunft in den Leib prügeln kann, ich werde dich in den Waschzuber stecken … Da bleibst du sitzen, bis du lieb

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