Gute Nacht, mein Geliebter
Karlberg bist, das allein reicht schon!«
»O Gott, ja. Die bin ich dann vielleicht endlich los. So hat doch alles sein Gutes.«
Es war ein seltsames Wochenende gewesen. Im Hinterkopf immer die Sorge, worüber Curt Lüding mit ihnen sprechen wollte. Aber diese Sorge war durch den Besuch in Hässelby betäubt und gedämpft worden.
Es stimmte, was Justine zu Berit gesagt hatte, dass es Berit zum Haus der ehemaligen Klassenkameradin regelrecht gezogen hatte. Sie wollte nachsehen, ob sich etwas verändert hatte, hatte entsetzliche Angst gehabt, Justine zu begegnen, aber dennoch insgeheim gehofft, dass sie dort auf ihrer Treppe stehen würde, dreißig Jahre älter und stark. Dass sie dort in ihrer geblümten, weiten Hose stehen und zu ihr sagen würde: Komm herein.
Und dann tat sie es!
Berit hatte alles, was geschehen war, verdrängt, während ihres ganzen erwachsenen Lebens hatte sie es beiseite geschoben, aber als sie sich dann dem Haus näherte, schlug es über ihr zusammen, sie hätte sich am liebsten in den Schnee geworfen und gerufen: Verzeih mir, Justine, wir waren damals doch nur Kinder, verzeih mir!
Sie saßen bei Justine in der oberen Etage und tranken Glühwein, sie sahen, wie der Himmel seine Farbe veränderte und rot und funkelnd wurde, als brenne es auf der anderen Seite des Mälarsees. Es war ein kalter und majestätischer Wintertag, und vielleicht erzählte sie zu viel, vielleicht gab sie mehr von sich preis, als sich eigentlich gehörte. Sie war es nicht mehr gewohnt, sich auf diese Weise mit jemandem zu unterhalten.
Justine. Justine hatte sie irgendwie schon immer gekannt.
Aber keine von ihnen erwähnte die Kindheit.
Der große Vogel hatte sie fast zu Tode erschreckt. Berit hatte keine Angst vor Vögeln, die Jungen hatten Wellensittiche gehabt, als sie noch klein waren, und sie hatte die Vögel gemocht, obwohl sie einen fürchterlichen Dreck machten. Aber dieses enorme Wesen, das plötzlich einfach auftauchte, es erschreckte sie, schlug seine Klauen in ihr Haar und verhedderte sich in ihnen.
»Ruhig, ganz ruhig«, sagte Justine beschwörend, »setz dich einfach wieder hin und bleib still sitzen.«
Sie wurde ein wenig hysterisch.
Justine hatte sie schließlich an den Schultern packen und wieder auf den Stuhl drücken müssen.
»So bekommt er doch Angst, verstehst du, wenn du schreist und so ein Theater machst.«
Langsam hatte sie Berits Kopf von den scharfen, schwarzen Klauen befreit. Berit zitterte vor Angst, sie sah den kräftigen Schnabel und brach in Tränen aus.
Es war nicht Berit Assarssons Art zu weinen.
»Er ist nur ein bisschen neugierig …«
»Ich habe solche Angst bekommen! Warum hast du denn so einen im Haus?«
Nach einer Weile beruhigte sie sich wieder, ging auf den Balkon hinaus und rauchte. Als sie wieder reinkam, saß der Vogel oben auf dem Bücherregal.
»Spielst du Ase, oder was soll das? Ist der da Hugin oder Munin?«
»Ase? Ach so. Das ist aber gar kein Rabe.«
»Er sieht jedenfalls aus wie einer.«
»Raben sind viel größer.«
Justine hatte den Glühwein wieder erhitzt, ihre Tasse aufgefüllt.
»Wie ist es mit deinen Kleidern, haben sie etwas abbekommen?«
»Das macht nichts«, flüsterte sie.
Ich mache mich lächerlich, aber das ist mir scheißegal.
Sie ging ins Badezimmer hinunter und versuchte, das Schlimmste abzuwaschen. Als sie wieder hochkam, hatte Justine Feuer im Kamin gemacht, du musst erst trocken werden, ehe du gehst, es ist kalt geworden, ein paar Grad unter Null.
Und sie hatte ihr über die Wange gestrichen und ihr auf den Stuhl geholfen, sie in eine Decke gewickelt und ihr noch etwas zu trinken gegeben.
»O Gott, Justine, davon werde ich bestimmt total besoffen!«
»Meinst du …?«
»Und wenn schon.«
Sie hatten eine lange Zeit dort gesessen, und das Kaminfeuer hatte gewännt, und sie dachte, dass es schon lange her war, dass sie sich so entspannt gefühlt hatte – und das, obwohl Curt Lüding für Anfang nächster Woche eine Personal-Versammlung einberufen hatte. Sie war beinahe etwas schläfrig geworden und hatte sich danach gesehnt, dass ihr jemand die Fußsohlen massierte, und während sie noch da sitzt und sich danach sehnt, rutscht Justine auch schon auf den Boden hinunter und zieht ihr die Socken aus.
Ihre Hände waren schnell und warm, sie kneteten, drückten und pressten, oh, wie gut und lieb du bist, Justine, wie gut du das kannst, wo hast du das gelernt?
»Ich weiß nicht, ich habe es eigentlich gar nicht gelernt
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