Gute Nacht, mein Geliebter
Stellungskrieg, der reinste Stellungskrieg. Die Kleine war da drinnen, lud ihre Kanonen, sie selbst lag im Schützengraben.
Was geschah dann?
Die Hitze von der Haut des Kindes, ihre Hände, die schlugen und schlugen, nackt verkroch sie sich in den Ecken.
»Du wirst tun, was ich dir sage, du kleines Biest, bist du ein Mensch oder ein Tier, ich werde dich umbringen, wenn du mir nicht gehorchst, wenn du mich weiter erniedrigst und nicht beachtest, hör zu, schau nicht weg, von jetzt an werden hier andere Saiten aufgezogen. Von jetzt an will ich nicht länger versuchen, deine Mutter zu sein.«
»Was hast du mit ihr gemacht«, fragte Sven, aber in seiner Stimme lag kein Tadel, nur stummes Erstaunen. Das Mädchen zwischen ihnen, mit sauberen Haaren, rosig.
10. KAPITEL
Curt Lüding bat sie am Montagmorgen um neun zur Besprechung. Er hatte seine Assistentin Jenny losgeschickt, um einen Hefezopf zu besorgen, der jetzt mitten auf dem Tisch des Konferenzraums stand, klebrig und in viel zu dicke Scheiben geschnitten.
»Bitte, bedient euch!«, nötigte er sie.
Seine langen, gepflegten Finger drehten nervös an einem Kugelschreiber, auf dem »Der Norrbottenkurier« stand, wie Berit auffiel. Ja, warum auch nicht? Er stammte ja irgendwo aus dem Norden.
Niemand aß von dem Hefezopf, auch Curt Lüding nicht.
Er saß am Kopfende des Tischs und führte den Plastikbecher mit Kaffee zum Mund, ein aufs andere Mal, vorsichtige, kleine Schlucke. Er fragte nicht, wie das Wochenende gewesen war, Plaudereien dieser Art fielen an diesem Montagmorgen aus. Er trug den dunklen Anzug, den er seit Anfang des Winters trug, früher hatte er meist Pullover und Manchesterhosen getragen. Etwas ist mit ihm geschehen, dachte Berit. Er ist dabei, so … untadelig zu werden.
Sie warteten. Annie starrte in ihre Kaffeetasse. Lotta räusperte sich und hüstelte, als wäre sie dabei, sich zu erkälten. Lilian gab ein schwaches, kaum hörbares Summen von sich, was sie immer tat, wenn sie wütend wurde oder sich Sorgen machte. Statt etwas zu sagen, lief sie summend durch die Gegend.
Draußen fuhr ein Krankenwagen mit gellender Sirene vorbei.
Das Telefon klingelte.
»Ist der Anrufbeantworter nicht eingeschaltet?«, fragte Curt Lüding.
»Doch, doch«, antwortete Jenny.
»Gut. Dann fangen wir am besten an. Ja, wie ihr euch denken könnt, gibt es einen Grund dafür, dass ich euch an einem Montagmorgen hergebeten habe. Wie ihr wisst, war ich einer von denen, die diesen Verlag in grauer Vorzeit einmal gegründet haben, und dann, als die anderen nicht mehr mitmachen wollten, war ich es auch, der Kapital in den Verlag steckte und ihn übernahm. Nun gut, ihr kennt die Geschichte. Und dann sind die Jahre vergangen. Es ist nicht immer ganz leicht gewesen, damit will ich nicht hinter dem Berg halten. Aber ihr alle habt gute Arbeit geleistet, ohne euch wäre es nicht gegangen. Viele von euch sind schon sehr lange dabei, du, Berit, zum Beispiel, und auch Margit … Ich glaube zu wissen, dass euch dieser Verlag fast genauso viel bedeutet wie mir.«
Er verstummte und sah aus dem Fenster.
Draußen lag immer noch Schnee. Das Thermometer zeigte fünf, sechs Grad unter Null, und zum ersten Mal in diesem Winter hatte Berit ihren Pelz tragen können.
Komm endlich zur Sache, dachte sie. Zur Sache, du verdammter Heuchler!
Berit sehnte sich nach einer Zigarette. Sie versuchte, sich das Rauchen abzugewöhnen und probierte es seit ein paar Wochen mit Nikotinkaugummis. Es war nicht unbedingt der beste Zeitpunkt, um aufzuhören.
»Wie ihr wisst«, fuhr ihr Chef fort, »wie ihr wisst, bin ich oben im Norden, in Norrbotten, geboren und dort auch aufgewachsen, in einem kleinen Dorf, das Sangis heißt. Mein Vater war dort Waldarbeiter, meine Mutter Gemeindeschwester. Dort bin ich zwischen diesen Unmengen von Tannen aufgewachsen. Ja, ihr kennt mich ja alle so lange, dass ihr schon einmal gehört habt, wenn ich den wüsten Dialekt meiner Heimat spreche, sobald ich mich nicht mehr bremsen kann. Nicht zuletzt auf unseren Festen …«
Ja, das stimmte. Vor ein paar Jahren hatte er noch Spaß an Betriebsfesten gehabt, war er immer eine der treibenden Kräfte gewesen, hatte ihnen in seinem Haus auf dem Lande beigebracht, norrländische Spezialitäten wie Mandelkartoffeln und gegorenen Strömling zu essen und ihnen etwas vorgesungen, wehmütige Lieder aus dem Norden. Seine Frau Maud war zu jener Zeit auch noch dabei gewesen, eine fröhliche und üppige Frau, auch sie aus dem
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