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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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zu einer Probefahrt mitnehmen.«
    »Aber ist das Wetter dazu nicht ein bisschen schlecht?«
    »Na und?«
    »Ja … Warum eigentlich nicht? Wenn man’s kann, dann kann man’s. Waren das nicht Ihre Worte?«
    »Ganz genau.«
    »Es ist nur, weil … Können Sie Flora vielleicht selber anziehen, was meinen Sie? Wir sind heute ein wenig unterbesetzt. Ich muss mich um Märta kümmern, sie ist übrigens Floras neue Zimmergenossin.«
     
    Sie war dünn wie eine Ausschneidepuppe, Arme und Beine völlig unkontrolliert.
    Würde man sie mehrmals hin und her schlenkern, gerieten sie bestimmt aus den Fugen.
    Justine hatte sie aufs Bett getragen, sie wog kaum mehr als der Vogel. Jetzt zog sie ihr Socken an, eine Flanellhose, eine Strickjacke und die Jacke. Sie bekam ein Paar karierter Stoffpantoffeln an die Füße, um den Kopf einen Schal.
    Dann rief sie die Krankenschwester.
    »Reicht es so, was meinen Sie?«
    »Bestimmt. Es ist übrigens leichter, sie anzuziehen, wenn sie sitzen.«
    Justine nahm ihre Stiefmutter in die Arme. Durch die Kleider hindurch spürte sie, wie der abgemagerte Körper zitterte. Sie bekam einen komischen Geschmack im Mund.
    »Bringen Sie sie im Rollstuhl nach unten!«
    »Das geht schon. Sie wiegt nicht mehr als ein Brief mit etwas höherem Porto.«
    »Es macht sich aber besser mit Rollstuhl.«
    Die Krankenschwester zog leicht an dem Knoten unter Floras Kinn.
    »Flora«, lachte sie, »du siehst haargenau aus wie eine alte Hexe.«
     
    Sie nahm den Aufzug nach unten, mit dem Rollstuhl an ihrer Seite. Zwei Frauen in weißer Kleidung stiegen mit ihr ein.
    »Oh, es geht mal etwas raus, das ist aber eine Freude, nicht wahr?«
    »Sie kann nicht sprechen«, sagte Justine.
    Aus Floras Kehle drangen Geräusche, gurgelnde Laute und Geräusche.
    Die Frauen redeten bereits über etwas anderes. Jetzt waren sie unten angekommen, und eine von ihnen half ihr dabei, den Rollstuhl aus dem Fahrstuhl zu bugsieren.
    Sie stellte ihn in der Eingangshalle ab, während sie das Auto holte und direkt vor die gläsernen Eingangstüren fuhr. Sie schob ihre Hände unter Floras Körper und hob sie auf den Beifahrersitz. Dort schnallte sie Flora an. Floras Augen irrten hin und her, der Schal rutschte ihr in die Stirn.
    »Es ist lange her, dass du draußen warst, nicht wahr? Bist du überhaupt schon einmal draußen gewesen, seit du …?«
    Sie gab Gas und geriet augenblicklich ins Schleudern.
    »Hoppla! Das kann in der Tat ein wenig riskant werden. Wohin willst du fahren? Doch nicht nach Hause, da kennst du ja doch alles. Nein, wir machen stattdessen eine Spritztour auf der Autobahn. Ich will doch mal sehen, was er so hergibt.«
    In der Kurve zur E 18, gleich hinter IKEA, geriet sie so sehr ins Schleudern, dass sich das Auto drehte und mit der Motorhaube in Gegenrichtung stehen blieb. Aus Flora drang ein hicksender, keuchender Laut. Ihre Hände lagen wie verdorrtes Laub in ihrem Schoß. Justine berührte sie, sie waren eiskalt. Sie drückte ein paar Knöpfe, bekam die Heizung an. Dann wendete sie das Auto und fuhr auf die Autobahn.
    Sie machte das Radio an, stellte den gleichen Sender ein wie im Pflegeheim, Megapol. Sie erkannte die Melodie, ein Stück aus der Zeit mit Nathan, es traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Sie stellte lauter, er war jetzt bei ihr, saß auf dem Rücksitz und beugte sich zu ihr vor, seine Hände hielten ihre Brüste. Und alles war wie damals, bevor sie das Flugzeug bestiegen, er war gut zu ihr und zärtlich.
    Nein. Jetzt war es Flora … Justine zog den Wagen auf die linke Spur und schrie. So als müsse sie das Motorengeräusch übertönen. So als hätten der Schnee und der Wind sie geschwächt. »Ich fahre ihn zum ersten Mal. Ich meine, richtig. Ich wollte, dass du dabei bist.«
    Das Gaspedal weiter runtertreten, diese lausigen Kleinwagen, sie war jetzt auf der Autobahn, warum nicht, sie betätigte die Lichthupe, aber sie blieben wie Bremsklötze vor ihr. Da zog sie mit einem Ruck nach rechts, überholte sie stattdessen dort. Trat das Gas noch etwas weiter runter, spürte, wie das Auto reagierte.
    »Mein Luftläufer!«, rief sie.
    Man nannte es Turbo, hatte der Verkäufer ihr erklärt. Er hatte mit einer ganz besonderen Stimme gesprochen, die offensichtlich für Frauen reserviert war. Sie sah, dass er verheiratet war, sah, wie er sich im ehelichen Bett über seine Frau wälzte, ihr seinen Turbo hineinstieß.
    »Power!«, sagte er und öffnete die Motorhaube. Alles darunter war neu und rein. Er strich über

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