Gute Nacht, mein Geliebter
…«
»Aber du kannst es wirklich … Ooh, mein Gott, wie
schön …«
Die Waden hinauf knetete sie, massierte und zog.
»Du bist verspannt, Berit, woran liegt das, geht es dir nicht gut?«
»Doch, doch, mir geht es sehr gut, was du da machst, ist göttlich …«
»Ich meine nicht jetzt. Ich meine sonst, dein Leben.«
Sie verzog das Gesicht, unterdrückte ein Weinen, schluchzte auf.
»Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre alles vorbei«, sagte sie heiser. »Hast du das nicht auch an manchen Tagen?«
Ihre Hände massierten und drückten.
»Hier hast du eine Verhärtung, Berit, genau unter dem Fußballen.«
»Ich weiß. Ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Zeit nur gebe und gebe und irgendwie … nie etwas zurückbekomme. Die Jungen sind jetzt erwachsen, sie sind gar keine Jungen mehr, sie sind junge Männer, hübsch sind sie, unverschämt hübsch, ich kann es sehen, obwohl ich ihre Mama bin, sie haben ihren Wehrdienst abgeleistet und sind in Uniform auf Urlaub gekommen. Wenn ich sie sehe, bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen ich sie noch sehe … kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass ich sie jemals ausgetragen habe, sie in mir gewesen sind und ich sie unter Schmerzen geboren habe, dass sie an meiner Brust getrunken haben, ich ihre Windeln gewechselt und gesehen habe, wie sie groß geworden sind …
Wir können nicht mehr miteinander reden, Justine. Doch, wir könnten vielleicht schon, wenn wir nur etwas Zeit hätten, wenn ich allein mit ihnen auf einer einsamen Insel wäre, wo es nichts anderes gäbe, nichts Lebendigeres als ihre alte Mutter.«
»Und dein Mann …?«
»Ich merke, dass … ja … seit nur noch er und ich übrig
sind … Es ist schwierig. Hättest du selber Kinder gehabt und wärst verheiratet gewesen, würdest du verstehen, was ich meine. Denn viele, viele Jahre dreht sich alles nur um die Kinder, man gibt sein Bestes, um alle Gefahren und Versuchungen von ihnen fern zu halten, alles im eigenen Leben zielt darauf ab, gute Eltern zu sein, für den Partner bleibt da kein Platz mehr … Man hat einfach nicht die Kraft … Man arbeitet ja den ganzen Tag … und dann, eines Tages, ist das alles vorbei. Die Kinder sind flügge geworden und haben das Nest verlassen. Dann steht man da, Mann und Frau starren sich an, und keiner weiß, wie man sich verhalten soll.«
»Könntet ihr nicht reisen und Dinge unternehmen, die euch Spaß machen?«
»Wir sind gereist. Er hat mir letztes Jahr eine Weltreise geschenkt.«
»Und?«
»Ich weiß nicht. Er war nicht mehr der Mann, mit dem ich mich einmal verlobt hatte, der mich begehrte und ein paar Mal am Tag mit mir schlafen wollte.«
»Na, hör mal … Was erwartest du denn?«
»Jedenfalls nicht diese Entfremdung. Sie macht mir Angst, Justine, eine Scheißangst.«
Sie lag halb in ihrem Stuhl, war fast auf die Erde gerutscht. Sie hatte Schmerzen hinter den Augenhöhlen, vom Glühwein, von den Tränen.
»Hast du denn nie so ein Gefühl von Entfremdung, Justine, bist du zufrieden mit deinem Leben?«
»Ich bin dabei, es zu werden.«
»Bin dabei, was meinst du mit, bin dabei, du hast nicht das Geringste über dich selbst erzählt, hier rede nur ich mir den Mund fusselig.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Gibt es doch, oder?«
»Ja, vielleicht. Was machst du eigentlich beruflich?«
»Ich arbeite in einem Verlag. Habe gearbeitet, muss ich wohl demnächst sagen. Er wird uns entlassen, da gehe ich jede Wette ein.«
»Steht das zur Debatte?«
»Die Zeiten sind hart, weißt du. Auf dem Arbeitsmarkt hat man doch keine Chance mehr, man ist zu alt.«
»Tja.«
»Ich bin fünfundvierzig, Justine, ja, das bist du natürlich auch. Ich kann nichts anderes, als mit Manuskripten zu arbeiten. Was soll ich nur tun, wenn ich das nicht mehr machen darf?«
»Kannst du keinen eigenen Verlag aufbauen. Bücher werden doch immer gebraucht?«
»Du bist verrückt. Was meinst du, wie schwer das ist!«
»Und dein Mann?«
»Ja, glaubst du denn, ich will ihm auf der Tasche liegen? Nein, Justine, die Freiheit ist das Wichtigste, was ein Mensch besitzt. Ja, du verstehst bestimmt, was ich meine, vielleicht hast du ja deshalb selber nie geheiratet.«
»Man braucht nicht verheiratet zu sein, um sich unfrei zu fühlen.«
»Nein …«
Der Vogel krächzte kurz oben auf dem Regal und flog wie ein großes schwarzes Tuch herunter. Er landete auf dem Fußboden und hüpfte zu Justine. Berit schrie auf und zog ihre Füße zurück.
»Er liebt es, in die Zehen
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