Gute Nacht, mein Geliebter
den Motor, seine Hand war rosig und glatt.
Als er ihr den Schlüssel übergab, packte er ihr Handgelenk und hielt sie fest.
»Hier haben Sie meine Visitenkarte«, sagte er. »Sollten Sie mich irgendwie brauchen, rufen Sie einfach an.«
Die Frau neben ihr hatte den Kopf gesenkt, so als schlafe sie. Ein schwacher Geruch entströmte ihren Poren, verschmolz mit dem Geruch von neuem Material.
»Wie viel fährt er, was meinst du?«, rief Justine.
Der Tacho vibrierte jetzt bei einhundertachtzig, zitterte. Es war Vormittag, recht viel Verkehr. Abfahrtsschilder, Schutzwälle. Sie fuhr weiterhin auf der linken Spur, jetzt war keiner mehr vor ihr. Aber hinter ihr. Die Polizei? Nein. Ein weißer Mercedes, gefahren von einem einsamen Mann. Er war dicht hinter ihr, hing ihr am Heck. Sie gab noch mehr Gas, im Rückspiegel fiel ihr sein runder Mund auf.
Er war zäh. Schob sich nach rechts, in der Absicht, sie dort zu überholen.
Oh, nein. Den Luftläufer überholte man nicht so mir nichts dir nichts.
Sie fuhr schneller, er drohte ihr mit dem Finger, dann sah sie, wie sein Auto ausbrach und von der Straße abkam, geradewegs in den Wildsperrzaun fuhr.
Ihr Griff um das Lenkrad entspannte sich.
Sie schwenkte auf die rechte Fahrbahn und blieb dort, bis sie nach Enköping kamen. Dort bog sie zu einer OK-Tankstelle ab, parkte. Hörte hinter sich Nathans helles Lachen: Lieblingsmädchen, Amazone.
Ich könnte mir deinetwegen die Brust abschneiden, weißt du das.
Sie griff nach Floras Kopf, hob ihn hoch. Strich ihr mit dem Ärmel über die Wange. Die seichten Höhlen der Augen, jetzt waren sie völlig überschwemmt.
»Hab keine Angst«, sagte sie heiser. »Das ist nur der Fahrtwind.«
Als sie losließ, fiel der Kopf wieder auf die Jacke herab.
»Möchtest du etwas? Einen Kaffee oder lieber etwas anderes? Wir sind immerhin auf einer Art Ausflug. Du kannst ja mal überlegen, Flora. Ich gehe in der Zwischenzeit auf Toilette.«
Sobald sie die Tankstelle betrat, begannen ihre Beine zu zittern.
Nein! Das durfte Nathan niemals sehen!
Sie fand die Toilette, ging hinein und schloss ab. Jemand hatte die Wände beschmiert, etwas über Gewalt geschrieben.
Sie nahm eine Kopfschmerztablette, trank Wasser direkt aus dem Kran, blieb eine Weile stehen und beruhigte sich.
Im Spiegel sah sie ihre Augen, das Gesicht steif und straff. Sie sah sich ähnlich und dann auch wieder nicht.
»You Bastard«, sagte sie und sah, wie die Frau im Spiegel anfing zu lachen.
12. KAPITEL
Berit ließ Wasser ein und nahm ein ausgedehntes, warmes Bad. Sie fror innerlich. Sie lag in der Badewanne und dachte, dass all die kleinen Knochenteile in ihrem Körper durch und durch vereist waren.
Sie hatten zu Abend gegessen, Tor und sie, jeder eine Tiefkühlpizza. Sie hatte keinen Hunger, aß nur ein bisschen von der Mitte. Er schaute auf ihren Teller, als sie den Tisch abräumte, sagte aber nichts.
Sie selber sagte:
»Ein Hund wäre jetzt nicht schlecht, meinst du nicht?«
Er zuckte mit den Schultern.
Dann zog er sich in das kleine Zimmer im zweiten Stock zurück, das er als sein Büro bezeichnete und das vor langer Zeit einmal das Spielzimmer der Jungen gewesen war. Eine Autorennbahn hatte sich von Wand zu Wand erstreckt, und die Jungen und ihre Spielkameraden hatten dort gesessen und mit Legosteinen gebaut. Eine richtige kleine Stadt hatten sie gemacht. Heute war das alles in Kartons verpackt und stand in der Garage oder im Keller, sie erinnerte sich nicht mehr. Eines Tages würde man die Sachen vermutlich wieder rausholen, wenn die Enkelkinder kamen.
Tor hatte sich das Zimmer eingerichtet, und sie hatte nichts dagegen gehabt. Immer gab es irgendwelche Papiere, die er bearbeiten, und Telefongespräche, die er führen musste. Sie waren zu IKEA rausgefahren und hatten den Schreibtisch Kavaljer gekauft, den Drehstuhl Kristofer und den Computertisch Jerker. Sie verbrachten ein Osterfest damit, die Wände mit weißer Farbe zu streichen und Gipsplatten an die Decke zu nageln. Berit fand einen Stoffrest, der genau für eine Gardinenbahn reichte. Dann war es fertig, das kleine heimische Büro.
Nach dem Abendessen zog er sich immer dorthin zurück. Gleichzeitig entzog er sich so allen Diskussionen. Von Problemen wollte er lieber nichts hören, das hatte sie in all den Jahren, die sie einander kannten, gelernt. Alles sollte leicht und locker laufen. Funktionierte das nicht, verzerrte sich sein Gesicht, und er sprach von einer beginnenden Migräne.
Berits
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