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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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davonrannten. Gütiger Himmel, wie wir liefen, an jenem Hügel vorbei, auf dem heute die Gedenkstätte liegt, durch das Tor hinaus, rechts in den Wald, dort warfen wir uns schließlich ins Unterholz. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir auch nur einen einzigen Gedanken an Justine verschwendet hätten, wie es ihr ergangen war, ob wir ihr wehgetan hatten. Wir machten uns einzig und allein Sorgen, sie könnte petzen und wir könnten bestraft werden.
     
    Sie konnte nicht schlafen. Auf dem selbstleuchtenden Zifferblatt sah sie, dass es halb eins war. Tor lag mit dem Gesicht ihr zugewandt, er schnarchte schwer und laut. Sie stand auf. Draußen im Badezimmerschrank musste es etwas Beruhigendes geben, sie hatte einmal Valium verschrieben bekommen, als sie mit ihren Nerven am Ende war, aber sie hatte die Packung nie geöffnet. Richtig. Dort war sie. Möglich, dass das Medikament zu alt war, sie konnte es ohne ihre Lesebrille nicht erkennen. Sie stopfte sich ein paar der kleinen, weißen Tabletten in den Mund und schluckte sie mit Wasser aus ihrem Zahnputzbecher hinunter.

13. KAPITEL
    Hans Peters Wohnung lag auf der Fyrmannsgata, mit Aussicht auf den Friedhof von Hässelby Villastad. Allerheiligen zündete er abends immer zwei Kerzen an und stellte sich eine Weile an das Wohnzimmerfenster. Draußen leuchteten die Grablichter mit ihrem schwachen Lichtschein. Es war der einzige Tag im Jahr, an dem der Parkplatz am Friedhof voll besetzt war und die Autos sogar an der Sandviksgata geparkt wurden.
    Zu dieser Zeit, im November, wenn die Dunkelheit sich wie eine Glocke über Stadt und Land legte, war es nur natürlich, dass er an seine Schwester dachte. Sie wäre jetzt achtunddreißig gewesen, wahrscheinlich eine blühende Mutter von zwei Kindern und vielleicht Vorschullehrerin oder Inhaberin eines Reformhauses. So stellte er sie sich vor. Sie und ihr Mann hätten durchaus in einem Haus in Stuvsta wohnen können, in der Nähe seiner Eltern. Oh, wie seine Mutter das gefreut hätte.
    Er erwachte an diesem Morgen von der Helligkeit und vom Geräusch eines Schneepflugs, der auf und ab fuhr und die Bürgersteige räumte. Ein dumpfes Mahlen, fast wie ein Schmerz, drückte auf seine Schläfen. Er hatte nicht schlafen können, als er gegen Morgen nach Hause gekommen war, hatte im Halbschlaf dagelegen, etwas Seltsames und Krankes geträumt. Wie viel Uhr war es jetzt? Halb elf. Da konnte man sich genauso gut anziehen.
    Draußen auf dem Friedhof lag der Schnee wie eine dicke Schicht Schlagsahne. Hans Peter kochte Kaffee und schmierte sich ein paar Knäckebrote mit Schinken und Tomatenscheiben, die er mit Salz und schwarzem Pfeffer würzte, setzte sich an den Küchentisch, überflog die Zeitung.
    Er las einen langen Artikel über jene Frau in Texas, die in dieser Nacht mit einer Giftspritze hingerichtet werden sollte. Sie hieß Karla Faye Tucker und war wegen Mordes verurteilt worden. Sie war genauso alt, wie seine Schwester heute wäre. Karla Faye Tucker hatte dichtes Haar und schöne, ruhige Augen. In dem Artikel hieß es, sie habe zu Gott gefunden und sei umgekehrt. Sogar der Papst hatte um Gnade für sie gebeten, aber wahrscheinlich ohne Erfolg, wahrscheinlich würde sie um ein Uhr in der Nacht auf dieser Bahre in der Todeszelle festgeschnallt werden, während er selbst in seiner Portiersloge saß, ein Mann aus dem Hinrichtungskommando würde ihren Ärmel hochkrempeln und nach der Vene suchen und ihr dann, wenn er sie gefunden hatte, die tödliche Flüssigkeit injizieren.
    Man hat sein Leben und muss versuchen, etwas daraus zu machen, dachte er. Karla Faye Tucker hatte es nicht versucht, als es noch Zeit dafür gewesen war.
    Er fühlte sich immer noch etwas niedergeschlagen, was jedes Jahr ein paar Mal vorkam. Es hatte nichts mit Depressionen zu tun, jedenfalls glaubte er, dass Depressionen schwerer, tiefer, härter waren. Nein, es war eher eine Art Überdruss. Angesichts der Tage und wie sie verstrichen, angesichts der Einförmigkeit. Ein langer Spaziergang würde ihn vielleicht auf andere Gedanken bringen. Er zog sich die gefütterten Winterstiefel und den Anorak an, den er einmal von Liv zum Geburtstag bekommen hatte. Er war nicht sonderlich warm, aber windundurchlässig, und wenn man einen ordentlichen Pullover darunter anzog, fror man überhaupt nicht. Er sprühte ihn nach jedem Waschen mit Imprägnierspray ein und redete sich ein, dass es was nützen würde.
    Als er gerade losgehen wollte, klingelte das Telefon.
    Es war seine

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