Gute Nacht, mein Geliebter
Mutter. Er sagte, er sei auf dem Sprung, gab es etwas Besonderes, konnte er sie zurückrufen?
»Dein Vater hat heute Geburtstag, Hans Peter.«
»Oh. verdammt. Stimmt ja!«
»Demnach hast du es vergessen?«
»Auf der Arbeit war so viel zu tun, ja, ich habe es völlig vergessen.«
»Es gibt eigentlich nicht besonders viele Menschen, an die du denken musst, nahe Angehörige, meine ich.«
Ihre Worte versetzten ihm einen Stich.
»Ich weiß! Ich habe es vergessen, das war unverzeihlich von mir.«
»Er hat nach der Post geschaut, als der Briefträger kam.«
»Ist ja gut, Mama!«
»Kommst du uns am Wochenende besuchen? Dann können wir den Geburtstag mit einem Essen feiern. Nur wenn du Zeit hast, natürlich.«
»Ja natürlich, das mache ich, ich komme.«
Er folgte den Haltestellen am Sandviksväg und bog am gelben Kiosk links ab. An manchen Stellen kam man wegen des Schnees nur schwer voran. Die Autos fuhren im Schritttempo, mehrere Räumfahrzeuge waren unterwegs, schaufelten den Schnee zur Seite und streuten Sand. Er sah, wie ein junger Briefträger auf seinem voll bepackten Fahrrad hin und her schlidderte und erinnerte sich an die Zeit, in der er selbst Post ausgeteilt hatte. Schön, dass dies vorbei war. Er war jetzt einfach zu alt für so etwas.
Bald war er für alles zu alt.
Er ließ den Hang, der zum öffentlichen Badeplatz hinabführte, der an diesem Tag nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Bad hatte, hinter sich. Der Schnee bedeckte den Strand, die Badestege und lag auch auf dem Eis, so dass man nicht einmal erkennen konnte, wo die Uferlinie verlief. Es schneite immer noch, aber keine dicken Flocken, sondern diese scharfen, kleinen Körner, die einem in die Augen wirbeln und von denen man Kopfschmerzen bekommt. Noch stärkere, als man eh schon hat. Er zog seine Mütze noch etwas tiefer und folgte der Uferpromenade in Richtung Riddersvik.
Hier sollte man wohnen, in einem dieser Reihenhäuser mit ihrer fantastischen Aussicht auf den See. Aber die kosteten natürlich ein Vermögen, und dann ein allein stehender Mann wie er. Von Zeit zu Zeit hatte er überlegt, sich stattdessen eine Wohnung in der Stadt zu besorgen, aber es gefiel ihm in der Natur, er war kein Stadtmensch, das hier war eine Kombination aus Stadt und Land, die ihm ausgezeichnet passte.
Seit ein paar Jahren verlief ein Weg aus Holz am Berghang entlang und ragte über das Wasser hinaus wie ein Balkon. Er bildete eine Abkürzung nach Riddersvik und Tempeludden. Man fühlte sich der Natur nahe hier draußen, der unendlichen Weite. Wenn der See zufror, glitten Trauben von Schlittschuhläufern aus Enköping und noch weiter entfernten Orten vorbei. Er fragte sich, ob das Eis trug, sah aber keine menschlichen Spuren, nur schwache Abdrücke kleinerer Tiere. Die Sträucher waren gefroren, eis- und schneebedeckt glichen sie starren Korallen. Er beugte sich über das Geländer und bewunderte sie, er hätte seinen kleinen Fotoapparat mitnehmen sollen, warum hatte er nicht daran gedacht? Dass man auch im Winter fotografieren konnte.
Da hörte er Geräusche und sah eine Frau mit einem großen, schwarzen Hund über den Brückenweg kommen. Der Hund war kräftig, sie hatte Schwierigkeiten, ihn zu halten. Die zottige Schnauze war voller Schnee, sie sah so lustig aus, dass er lächeln musste.
Jetzt blieb sie stehen und stopfte sich ein paar Haarsträhnen unter die Kapuze. Ihr Gesicht war rot und ungeschminkt, die Jacke knallgelb.
»Schöner Hund«, sagte er, wusste aber nicht recht, ob er es wagen sollte, ihn zu streicheln.
»Ja«, sagte sie. »Er gehört meiner Tochter.«
»Macht er einen Spaziergang mit Ihnen oder umgekehrt?«
»Das ist eine gute Frage«, lachte die Frau.
Sie zog an der Leine und sagte etwas, das wie Freja klang.
»Heißt er Freja? Wie dieses Radioprogramm?«
»Nein. Feja heißt sie. Und eigentlich ist sie gar nicht so stur. Nur bei mir … Meine Tochter und ihr Freund sind dabei, sie zum Spürhund auszubilden.«
»Tatsächlich? Was soll sie denn aufspüren?«
»Na ja …«, sagte sie vage. »Leute, die vermisst werden oder unter eingestürzten Häusern verschüttet sind und so weiter.«
»Das klingt interessant.«
»Aber sie ist noch sehr jung, erst drei Jahre alt.«
»Das ist doch ein Schnauzer, nicht wahr?«
»Ja, ein Riesenschnauzer. Im Moment ist sie läufig, deshalb will sie nicht richtig folgen. Aber jetzt müssen wir wirklich gehen. Komm her, Feja!«
Er blieb stehen und sah, wie sie hinter der Rundung des
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