Gute Nacht, mein Geliebter
Innenseiten waren glitschig von Algen.
»Sollen wir Fisch spielen?«, sagte ich, denn ich merkte, Jill würde sonst bald sagen, dass sie nach Hause wollte.
»Wie meinst du das, Fisch spielen?«, fragte Justine.
»Aquarium«, sagte ich. »Die Tonne soll unser Aquarium sein.«
Jill sagte:
»Wir dürfen hier eigentlich nicht spielen.«
»Der Mann ist doch nicht mehr da.«
Es war vollkommen still, der Wind fuhr durch das Birkenlaub, doch Vögel waren nicht zu hören. Sie waren wohl in wärmere Länder gezogen. An all das erinnere ich mich unheimlich deutlich. Es ist seltsam. Ich war doch erst sieben Jahre alt.
»Justine soll der Fisch sein«, sagte ich, und ich sah, dass sie erst protestieren wollte, sich dann aber etwas duckte, als müsse sie erst einen Anlauf nehmen, um sich zu trauen, Ja zu sagen.
»Muss ich mich ausziehen?«, fragte sie.
»Was meinst du, Jill? Muss sie sich ausziehen?«
Jill biss die Zähne zusammen und nickte. Dann begann sie zu kichern. Es war typisch für sie, plötzlich in einen Lachanfall auszubrechen. Ich kicherte auch. Wir befahlen ihr, sich auszuziehen, und sie tat es. Sie hätte es doch auch lassen können, jeder Mensch hat doch seinen freien Willen. Aber in gewisser Weise schien sie es auch zu mögen. Vielleicht mochte sie es auch, wenn Flora sie in den Waschzuber setzte? Sonst hätte sie uns das doch nicht so stolz erzählt.
In ihrer Unterhose waren Pipispuren, das sah ich, als sie die Hose auf die Seite legte. Sie bekam eine Gänsehaut. Alleine schaffte sie es nicht, in die Tonne zu klettern. Wir mussten ihr helfen. Es platschte, als sie hineinglitt. Sie schrie auf, das Wasser schlug kalt gegen ihren nackten Bauch.
»Jetzt bist du unser Fisch«, sagte ich.
Sie plantschte ein wenig, als spiele sie, wir würden schwimmen.
»Wir werden dich füttern, was fressen Fische?«
»Die fressen bestimmt … Würmer.«
Da geschah etwas mit Justine, sie stand kerzengerade in der Tonne, und ihre Augen waren weit aufgerissen.
»Keine Würmer! Versprecht es! So ein Fisch bin ich nicht, ich fresse nur Blätter.«
»Sei still!«, sagte ich. »Fische können nicht sprechen.«
Wir rupften ein paar Blätter von den Sträuchern und schütteten sie über Justines Kopf in die Tonne. Sie beruhigte sich wieder. Ihre Haare waren nass geworden, und sie hatte begonnen, mit den Zähnen zu klappern.
Ich weiß nicht, wer ich war, ich weiß nicht, was mit mir los war, ich war nur ein Kind, ich war erst sieben Jahre alt. Ich sah den Schlauch, der an der Hauswand hing, ich rollte ihn etwas ab und drehte am Wasserhahn.
»Du sollst noch mehr Wasser in dein Aquarium bekommen«, sagte ich zu Justine, und sie begann, auf und ab zu springen und zu protestieren.
Ich habe später darüber nachgedacht. Ich wollte wirklich sehen, wie das Wasser ihr bis zum Kinn, ja, bis zu Nase und Mund reichte. Ich weiß, dass ich dachte, sie könnte ertrinken, aber es war, als ginge mich das nichts an. Oder als wäre es einfach interessant zu sehen, wie so etwas vonstatten geht. Wenn Menschen ertranken. Ich führte den Schlauch über den Rand der Tonne und begann zu spritzen.
Anfangs schrie sie etwas und schlug um sich, dann wurde sie still und stand einfach nur da. Ich konnte nicht aufhören, ihren Kopf mit Wasser zu bespritzen. Es lief ihr Gesicht herunter und in die Mundwinkel. Später habe ich daran gedacht, dass es sehr kalt gewesen sein muss. Das Wasser reichte ihr bis zum Kinn.
Jill sagte:
»Jetzt musst du das Wasser abdrehen!«
Es war, als könnte ich das nicht.
Sie sagte es noch einmal:
»Dreh ab, Berit, dreh ab!«
Als ich nicht reagierte, ging sie selbst hin und drehte ab. Justine fror so sehr, dass sie am ganzen Leib zitterte.
Ich ging ein bisschen zur Seite, dachte nach. Dann nahm ich einen Stock, der auf der Erde lag.
Ich hielt ihn ein wenig über die Tonne.
»Schau her, ich angele!«
Jill lief los und holte sich auch einen Stock.
»Bei wem beißt einer an!«, rief ich. »Jetzt werden wir sehen, bei wem einer anbeißt!«
Ich hatte mir wahrscheinlich vorgestellt, dass sie nach einem der Stöcke greifen und wir sie dann rausziehen würden. Sie würde sich dann wieder anziehen dürfen. Aber sie tat es nicht. Sie stand in der Tonne und schmollte. Ich schlug sie mit meinem Stock, direkt aufs Ohr. Jill sah mich an, dann machte sie es mir nach.
Wenn sie wenigstens geweint hätte.
Dann erinnere ich mich nur noch, dass wir Schritte auf dem Kiesweg hörten und Jill und ich unsere Stöcke wegwarfen und
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