Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
Vom Netzwerk:
Besonderes. Die große Ölheizung, eine Wäscheschnur, auf der Laken zum Trocknen hingen. Am Fenster eine Mangel und ein Haufen mit viereckigen Steinen, auf denen leere Blumentöpfe standen.
    »Was ist mit dem Keller?«, fragte ich.
    Sie tat geheimnisvoll. Die Spange in ihrem Haar hatte sich gelöst und hing nur noch an ein paar Haaren. Sie öffnete die Tür zu einem kleineren Raum.
    »Da!«, sagte sie und zeigte hinein.
    Ein Waschzuber stand in dem Raum, so einer, in dem man Wäsche kocht. Sonst nichts.
    »Was ist denn damit? So einen haben meine Oma und mein Opa.«
    »Flora setzt mich da manchmal rein.«
    »Was?«
    »Wenn sie wütend auf mich ist.«
    »Sie setzt dich da rein?«
    »Ja.«
    »Warum tut sie das?«
    »Sie schüttet Wasser rein und sagt, dass sie meinen Trotz wegkochen wird.«
    Ein Schauer lief mir über den Rücken, nicht aus Angst oder Mitgefühl, es war etwas anderes, es war ein schönes Gefühl.
    Ich habe in den letzten Tagen oft daran gedacht. Kindern scheint jedes Einfühlungsvermögen zu fehlen. Aber gilt das für alle Kinder? Oder war da was mit mir … mit meinem Zuhause? Ich hatte anständige, liebe Eltern, die mich gut behandelten. Vielleicht verwöhnten sie mich etwas, sie waren ja schon ziemlich alt, als ich zur Welt kam. Ich war ihr einziges Kind, es gab keine Geschwister, an denen man sich reiben konnte. Es ist klar, dass man da etwas verwöhnt wird.
    Aber hatte man nicht das Recht, sich seine Freunde selber auszusuchen? Sie hätte sich doch an andere hängen können, nicht die ganze Zeit nur an mich. Sie hatte Sandyschachteln in der Schultasche, wir durften zwischen Menthol und Honig wählen, konnten wir uns nicht entscheiden, bekamen wir beide. Mein Gott. Wie sehr wir sie loswerden wollten.
    Ich glaube, dass ich es war, die den Vorschlag machte, zum Friedhof zu gehen. Es war ziemlich weit dorthin, den ganzen Sandviksväg hinunter, wenn man den direkten Weg nahm und nicht die Seitenstraßen entlanglief.
    Sie klebte an unseren Fersen. Jill und ich unterhielten uns und beachteten sie gar nicht, aber ich wusste, dass sie mitkommen würde, genau darauf hatte ich gezählt.
    Es muss irgendwann im September oder Oktober gewesen sein, denn die Blätter waren noch grün, während die Luft schon etwas kühl war. Wir trugen Jacken und lange Hosen und außerdem noch unsere Schultaschen, die wir immer bei uns hatten. Wir waren noch ziemlich stolz auf sie und darauf, in die Schule zu gehen.
    Die Pastillenschachteln reichten den ganzen Weg bis zum Friedhof.
    »Was wollen wir jetzt machen?«, fragte Justine.
    »Wir werden deine Mama besuchen.«
    Mit etwas Mühe gelang es uns, das schwere Eisentor aufzubekommen, aber dann hatten wir keine Ahnung, wie wir es wieder schließen sollten. Wir ließen es offen. Justine wusste genau, wo das Grab lag. Sie führte uns zunächst ein Stück geradeaus, dann nach rechts. Der Stein war hoch und weiß, und es stand ein Name darauf, an den ich mich nicht mehr erinnere.
    »Ich frage mich, wie sie jetzt aussieht.«, sagte ich. »Es sind bestimmt nur noch Haut und Knochen übrig. Und eine Masse Haare. Ich habe gehört, die Haare der Toten wachsen im Sarg weiter. Die Haare und die Nägel.«
    Wir hielten unsere Handflächen gegen die Sonne und meinten, die Skeletthände in ihnen erkennen zu können. Jill gab einen Schrei von sich, der uns durch Mark und Bein ging. Sie konnte einem manchmal wirklich auf die Nerven gehen.
    »Ich will kein Skelett sein!«, schrie sie. »Ich will nicht, dass meine Nägel weiterwachsen!«
    »Das will niemand«, sagte ich.
    Justine sagte:
    »Man muss ein Skelett in sich haben, sonst stürzt ja alles zusammen.«
    Wir entfernten uns in Richtung des weißen Gebäudes, das ein Stückchen weiter weg lag. Gleich dahinter harkte ein älterer Mann.
    »Das ist das Haus der Toten«, sagte ich. »Da drinnen liegen die Leichen, die beerdigt werden sollen, sie liegen da und warten darauf, dass sie an der Reihe sind.«
    Der Mann hörte auf zu harken und rief uns etwas zu. Wir taten, als hätten wir nichts gehört, und versteckten uns hinter einer Hecke. Dort hockten wir und beobachteten, wie er Ausschau nach uns hielt. Nach einer ganzen Weile hängte er die Harke auf und ging. Er verschwand durch das Tor und schloss es sorgfältig hinter sich. Jetzt waren wir allein auf dem Friedhof.
    Eine Tonne stand neben dem Haus der Toten. So eine Tonne, in der man Regenwasser auffängt. Es war recht viel Wasser in der Tonne, wie ich sah, als ich hineinschaute, und die

Weitere Kostenlose Bücher