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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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heran, angelockt durch den Lärm, sie hätten es besser wissen müssen. Aber sie freute sich offensichtlich darüber.
    »Ich spiele für die Vögel, Papa.«
    »Mein hübsches, tüchtiges Mädchen. Dann gründest du ein Orchester.«
    Die Enten kletterten auf den Steg und verdreckten alles mit ihrem Kot. Wer soll das nachher wegschrubben! Glaubst du, ich bin hierher gezogen, um Vogelscheiße von alten Stegen zu schrubben!
    Nein.
    Mit diesem Mann ließ sich nicht streiten. Er gab ihr eine scharfe Antwort und verstummte dann, bis sie selbst zu Kreuze kriechen musste.
    Die Kleine. Sie war an allem schuld. Zu behütet und verwöhnt.
     
    Sie war auf dem Stuhl zusammengesunken. Sie war sehr müde. Märta Bengtsson hatte sie angestarrt, Flora ihre Ruhe genommen.
    »Schwester! Können Sie bitte kommen. Ich glaube, Frau Dalvik ist ohnmächtig geworden.«
    »Aber nein. Das sieht nur so aus. Wir müssen sie nur wieder etwas aufrichten. So!«
    »Vielleicht ist sie müde und möchte sich hinlegen?«
    »Aber es ist gut für euch, wenn ihr auf sein könnt. Dann werden die Tage nicht so lang.«
    Das war jedenfalls richtig nett gewesen. Von Märta Bengtsson. Flora sah sie an und nickte. Märta Bengtsson nickte zurück.
    »Hätte man das jemals gedacht? Dass es mit uns so enden würde.«
     
    Sie konnte plötzlich von Wut gepackt werden. Nicht auf Märta, nicht auf die Pfleger. Nein, auf Sven. Siebzig Jahre alt und bis zu jenem Tag völlig gesund, hatte er sich eines Nachmittags ans Herz gefasst und war auf der Vortreppe des Hauses niedergesunken. Sie hatte am Fenster gestanden und ihn gesehen, hatte augenblicklich einen Krankenwagen gerufen. Er lag so, dass sich die Tür nicht öffnen ließ. Sie musste all ihre Kraft aufbringen, um ihn langsam zurückzuschieben, so dass sich ein Spalt öffnete, der groß genug war, damit sie hindurchschlüpfen konnte. Er lag auf der Treppe, und etwas Schaum rann aus einem Mundwinkel.
    Am nächsten Morgen war er tot.
    Sie saß bei ihm und hielt seine Hand, Justine saß auf der anderen Seite. Er hatte sie beide bei sich, und trotzdem, trotzdem verließ er sie.
    Wer wird bei mir sitzen, kannst du mir das sagen?
    Ich will nicht sterben. Ich will leben.

15. KAPITEL
    An manchen Tagen fielen alle über sie her. Die ganze Klasse. Nahmen sich an den Händen, Fäustlingshänden mit nassen Daumen, bildeten einen Kreis. Die Lehrerin sah nur, dass die Kinder Kreisspiele spielten, das Plündern des Weihnachtsbaums noch frisch in Erinnerung. Wie der Wind an ihren Halstüchern zerrte, ihre hellen Stimmen. Spürte sie dann, wie es ihr warm ums Herz wurde, dachte sie an sich selbst zurück. Genauso unschuldig und klein.
    »Justind verschwind, Justind verschwind, Justind verschwind, und die Pisse rinnt.«
    Denn Justine musste ständig. Vergaß aber, aufs Klo zu gehen. Oder versuchte, es zu halten. Vielleicht eher Letzteres. Die Mädchen hatten sie da unten festgehalten und sich über sie lustig gemacht.
    Flora wurde natürlich wütend, hielt ihr die bepinkelten Hosen unter die Nase.
    Immer so nass herumzulaufen. Sie wurde wund und bekam rote Stellen.
    Jetzt lag sie im Schnee, niemand hatte sie gestoßen, sie hatte sich freiwillig hingelegt, und der Kreistanz ging weiter, die abgenutzten Skischuhe der Kinder. Sie lag da wie ein Lamm, ein Opferlamm. Etwas Hartes an ihrer Seite, der Schnee war jetzt pappig, und es war nicht kalt. Sie bauten um sie herum, bauten einen Brunnen, sie selbst an seinem Grund.
    Die unebenen weißen Wände. Dort oben das Licht, grau und blendend. Das Klingeln. Geht rein.
    »Wir gehen jetzt«, rief Berit. Sie war der Lichtengel, sie hatte das Sagen. »Beeil dich, sonst kriegst du Ärger mit der Lehrerin.«
    Sie konnte hochkommen. Sie konnte sich gegen die Wand stemmen und sie zum Einstürzen bringen, es würde vermutlich nicht allzu schwer sein.
    Sie tat es nicht.
     
    Die Lehrerin und Flora und sie. Das Ticken der Uhr an der Wand.
    »Sieh uns an, wenn wir mit dir reden!«
    »Sie wissen ja, dass sie ihre Mutter verloren hat …«
    »Aber das ist schon viele Jahre her. Sie hat eine neue Mutter bekommen, sie kann nicht den Rest ihres Lebens so einen Aufstand deswegen machen. Wir müssen versuchen, sie da rauszuholen, ihr zu helfen. Sonst wird sie noch große Probleme bekommen.«
    Flora in ihrer weißen Bluse.
    »Wir wollen doch nur dein Bestes, Justine, das weißt du doch wohl.«
    Die Lehrerin mit der Kreidehand.
    »Sie ist nicht unbegabt. Aber sie muss sich einfach mehr anstrengen, darf im

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