Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
Vom Netzwerk:
sich im Zimmer befand, hegte sie große Erwartungen, hoffte, dass er geradewegs in sie hineinsehen könnte, sie mit einem Ruck vom Stuhl und mitten ins Licht heben würde.
    Alles war danach so hässlich und leer.
    Sie lag auf dem Bauch im Bett, und das Kissen war warm und nass.
     
    Justine lief in den Wald, zum umgestürzten Baum. Ein Gewimmel aus glänzenden Fäden. Es lag kein Schnee mehr, braunes, nasses Gras. Das Hämmern eines Spechts gegen einen Stamm.
    Im Zimmer des Jägers stand noch der Weihnachtsbaum mit hellgrünen, weichen Nadeln.
    Er nannte sie Stina.
    Er hatte einmal eine Frau gehabt, eine Frau, die Dora hieß. Etwas war geschehen, er erwähnte es manchmal, und sein Gesicht wurde alt. Dann war er nicht mehr nur der Jäger, und das störte sie, aber gleichzeitig musste sie es hören. Wieder und wieder musste sie es hören.
    Er hatte eine kleine Firma besessen, die Gartenartikel vertrieb. Er betrieb die Firma gemeinsam mit seinem besten Freund Jack. Dora führte die Bücher, sie war verdammt gut im Rechnen.
    »Hattet ihr keine Kinder?«
    Sie musste fragen, um es hinauszuzögern.
    Er machte ein verwirrtes Gesicht.
    »Nein. Kinder haben wir keine bekommen.«
    Dann näherte er sich dem Schweren. Aber Unausweichlichen.
    »Eines Tages, als ich in den Schuppen kam …«
    Sie sah es, er hatte es ihr so oft erzählt, dass sie es genau vor Augen hatte, die Details, die Farben, ja sogar den Duft von Doras Lilientalk ahnte, den sie sich jeden Morgen unter die Arme strich, wenn sie sich gewaschen hatte.
    Sie sah den anderen Mann, den Freund des Jägers, wie er sich über die Frau beugte, sie sah es wie in einem Buch, ein Liebesbild aus der Bibliothek der Herzen. Die Frau trug das Haar in einem Pagenschnitt, schwarz und glatt, es ergoss sich über die Bank. Das Hemd des Mannes aus Hirschleder, etwas aufgeschnürt, sie sah, wie sich ihre Lippen näher kamen, bebend vor Lust, sie bekam kalte Finger, sie bekam etwas, das wie Atemnot war.
    »Was geschah dann?«, flüsterte sie, und die Katze machte einen Satz auf den Boden hinunter und ging mit steifen Beinen zur Tür.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich habe keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist.«
    Da näherte sie sich dem Jäger und berührte seine Wange. Und es war warm in der Küche, und der Herd hatte begonnen zu glühen.
     
    »Wenn du groß bist, wirst du mich vergessen«, sagte er, und das Kartenspiel verschwand in seinen Pranken.
    »Niemals«, rief sie und weinte dann, denn sie wuchs ständig, war auf dem besten Wege, groß zu werden.
    »Ich stelle mich oft auf den Berg und schreie«, sagte der Jäger. »Es hilft. Die Leute glauben wahrscheinlich, dass man verrückt ist und sorgen dafür, dass man nach Beckomberga kommt. Aber es hilft, auf dem Berg zu stehen und zu schreien.«
    Sie ging hinaus. Das Küchenfenster war erleuchtet, aber er schaute ihr nicht nach, er saß an dem Tisch mit der geblümten Wachstuchdecke und legte eine Patience nach der anderen. Sie kletterte bis zur Kuppe hinauf. Wind in ihren Augen, Wind im Mund, als sie den Mund aufriss wie beim Zahnarzt.
    Aber es kam kein Schrei.
     
    »Was sagen deine Eltern dazu, dass du hierher kommst?«, fragte er und senkte den Kopf ein wenig, damit er sie über die Brille hinweg ansehen konnte.
    Sie war drauf und dran, die Hexe zu erwähnen. Aber sie war jetzt älter, das Wort hatte begonnen zu verblassen.
    »So ein einsamer Mann muss doch etwas auf dem Kerbholz haben«, murmelte er.
    »Meine ist aufgegangen, hast du gesehen, ich habe gewonnen!«
    »Ich rede jetzt von etwas anderem.«
    Ja. Das hatte sie schon verstanden. Jetzt waren es die Gedanken des erwachsenen Menschen, die sein Gehirn füllten und drohten, es zu überschwemmen.
    Sie nahm ihre Jacke und ging.
     
    Sie jagten sie den Hang am öffentlichen Badeplatz hinunter, der ganz in der Nähe ihres Zuhauses lag. Aber sie war hier trotzdem nicht zu Hause. Der Lichtengel Berit mit flatternden Locken, hinter ihr Evy und Gerda, ein Mädchen aus der Stadt. Sie war als Pflegekind gekommen. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen und waren vom Winde verweht worden. Justine hatte gehört, wie Flora dies zu Papa sagte.
    Vom Winde verweht.
    Gerda war lang und mager, gewohnt, eine große Lippe zu riskieren. Schon am ersten Tag hatte es sie in Berits Bannkreis gezogen, und sie hatte die Reime und Schmähverse gelernt.
    Sie waren noch nicht bis zum Äußersten gegangen. Sie zu entblößen, sie ans Licht zu holen und zu bespucken, was

Weitere Kostenlose Bücher