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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Unterricht nicht so still sein. Ich weiß, dass sie etwas kann. Sie muss Verantwortung übernehmen für ihr Leben, das müssen alle Menschen, auch Schulkinder.«
    »Sonst müssen wir mit Papa sprechen, Justine. Und das willst du doch nicht?«
    Nein. Da traf sie den Nagel auf den Kopf. Papa sollte verschont bleiben, er sollte nichts wissen müssen, er hatte es schon schwer genug mit der Hexe, die Tisch und Bett mit ihm teilte.
     
    Jetzt denken wir an jemanden, Justine, von dem nur du und ich wissen.
    Ja, Mama.
     
    Flora schlug sie. Aber nie, wenn Papa zu Hause war. Sie schloss sie im Keller ein mit ihren Schulbüchern, schaffte es aber nicht mehr, sie in den Waschzuber zu zwingen.
    »Ich höre dich gleich ab. Obwohl es eigentlich keinen Sinn hat. Du bist ja doch verloren.«
    Wieso verloren?
     
    Es kam vor, dass sie vom Schulhof floh. Aber dann wurde es umso schlimmer, wenn die anderen sie einfingen. Berit hielt sie fest, zeigte auf ihren Körper.
    »Schaut euch Justine an, ihre französische Nase.«
»Buh, was für eine hässliche und ekelhafte Nase!«
»Schaut euch Justine an, ihr französisches Kinn!«
»Buh, was für ein hässliches und ekelhaftes Kinn!«
»Schaut euch Justine an, ihren französischen Hals!«
»Buh, was für ein hässlicher und ekelhafter Hals!«
    Hände, die an ihren Kleidern zerrten, Knöpfe und Reißverschlüsse öffneten. Da riss sie sich los und lief davon. Ihre unerwarteten Bewegungen überraschten die anderen. Sie spielte sonst so willig die Rolle des Opfers.
    Aber jetzt war sie auf der Flucht, lief ihnen davon.
     
    Ein umgestürzter Baum und Unterholz. Sie war einmal mit dem Jäger dort gewesen. Wenn sie aus der Schule weggelaufen war, traf sie ihn dort oft. Er trug seine Lederjacke und duftete nach Laub und Erde.
    Der Jäger ging in die Hocke, er betrachtete sie.
    Wie kein anderer.
    Er nahm sie mit zu sich nach Hause. Dort gab es eine Katze mit weißem Schnurrbart und einen gusseisernen Herd. Auf dem Hügel hackte er Holz für den Herd. Die Küche war brüllend heiß.
    Er sagte nicht, dass sie nichts darauf geben sollte. Er sagte nichts.
    Aber er strich ihr sanft über den Rücken.
    Sie saßen an seinem Tisch und legten Patience. Er hatte kleine, winzig kleine Kartenspiele mit japanischen Blumen auf der Rückseite. Es ging darum, wessen Patience zuerst aufging.
    Die Katze lief mit vorsichtigen, geschmeidigen Schritten über den Tisch. Wenn sie sich hinlegte, kratzte er sie mit dem Nagel unter den Zehenballen. Dann zuckte es im ganzen Katzenkörper.
    »Bist du auch so kitzlig, Stina?«
    Stina war sein Name für sie, nie das französische Justine.
    Wie der Jäger hieß?
    Sie würde nie jemand von dem Jäger erzählen. Es gab eine Hexe in ihrem Haus. Der Blick der Hexe konnte auf den Jäger fallen, und gegen diesen Blick halfen nicht einmal Gebete.
     
    Manchmal wollte Papa mit ihr sprechen. Über ernste Dinge. Sie spürte es an seiner Art, die Schultern hochzuziehen, schon beim Essen spürte sie es, und sie verlor den Appetit.
    Am Abend kam er dann in ihr Zimmer.
    Schnell fragte sie:
    »Musst du jetzt wieder verreisen?«
    »Nein, wie kommst du darauf?«
    »Wenn du wieder verreisen musst, darf ich dann mitkommen?«
    »Ich verreise aber gar nicht, meine Kleine.«
    »Nein, aber wenn.«
    »Irgendwann einmal kannst du bestimmt mitkommen.«
    »Wohin reisen wir dann?«
    »Vielleicht nach Frankreich.«
    Ihre Finger spielten mit der Schreibtischunterlage. Sie hatte darauf gezeichnet, Blumen und schlafende Tiere. Wenn er doch nur weiterreden würde, wenn er doch nur auf Details eingehen würde, was brauchen wir alles, wenn wir verreisen, genau, Pass und Reisetasche, und dann müssen wir dir etwas Neues für die Reise kaufen, etwas zum Anziehen.
    Aber Papa hustete, als wäre er erkältet.
    »Hast du deine Hausaufgaben auch ordentlich gemacht?«
    »Natürlich.«
    »Gefällt es dir in der Schule, Justine?«
    »Ja.«
    »Wenn nicht, musst du es mir sagen, versprichst du mir das?«
    »Ja.«
    »Die Zeit des Lernens ist so kurz und so wichtig. Man muss diese Zeit des Lernens nutzen. Wenn du verstehst, was ich meine.«
    Sie verstand nicht richtig. Aber sie nickte.
    »Man muss seine Kindheit auskosten. Leider begreift man das meistens erst, wenn die Kindheit schon vorbei ist. Die Probleme, die man als Kind haben mag … sind klein, verglichen mit denen, die kommen, wenn man erwachsen ist. Verstehst du mich, Justine?«
    Sie nickte wieder.
    Sobald er gegangen war, fing sie jedes Mal an zu weinen. Solange er

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