Gute Nacht, mein Geliebter
ganz allein, denn es war ein gewöhnlicher Werktag, und die Leute waren auf der Arbeit, und ich dachte daran, was werden sollte, wenn wir umziehen mussten, und ob ich eine Chance hatte, sie aufzuhalten.«
»Aber gehörte euch das Haus denn nicht gemeinsam?«
»Das tat es wahrscheinlich, aber ich hatte mich nie darum gekümmert, wie die Dinge lagen.«
»Hast du nie irgendwelche Papiere unterschrieben?«
»Schon möglich. Ich erinnere mich nicht, ich war in der Zeit nach Papas Tod sehr niedergeschlagen.«
Er schüttelte den Kopf.
»An so etwas muss man sich doch erinnern, Justine.«
»Na ja. Ich erinnere mich nun mal nicht. Jedenfalls, als ich zurückkam, fiel keine Sonne mehr auf den Balkon, ich dachte, Flora wäre reingegangen, ging direkt in die Küche und fing an zu kochen, es war vielleicht fünf Uhr. Ausnahmsweise war ich recht lange draußen gewesen, ich erinnere mich, dass ich irgendwo an Land ging und es um mich herum vollkommen still war, abgesehen von den Vögeln. Ich stand dort am Ufer und wünschte mir ihren Tod, Nathan. Das habe ich wirklich getan.«
»Hast du ihr jemals eine Chance gegeben? Ich meine, deine Mutter zu werden?«
»Aber, so versteh doch … Flora ist niemand, dem man etwas gibt. Flora ist jemand, der nimmt.«
»Kann ich nicht einmal mit ins Pflegeheim kommen und sie besuchen?«
»Nein«, sagte sie schnell. So als wüchse die alte Hexe mit all ihrer Macht auf einmal wieder in ihrem Krankenbett heran, als fände sie dann zu alter Stärke zurück und begänne zu drohen.
»Nach einer Weile ging ich hinauf, es zog ein wenig von der oberen Etage her, ich schaute hinaus und sah sie dort in einer irgendwie verdrehten Stellung sitzen. Es sah so makaber aus … Dieser trockene Bauch einer alten Frau und der Bikini … Sie hatte einen Schlaganfall bekommen. Ich versuchte, sie wieder zu sich zu bringen, sie lallte und war ganz seltsam. Es stellte sich dann heraus, dass sie völlig gelähmt war und nicht einmal mehr sprechen konnte. Well, ich ließ sie ins Krankenhaus bringen, und danach ist sie nie mehr zurückgekehrt.«
Er nahm ihre Hände.
»Du kommst mir ein wenig grausam vor, mein Liebling.«
»Sie hat mich so viele Jahre in ihrer Gewalt gehabt.«
»Entschuldige bitte, Justine, aber es klingt wirklich ein wenig übertrieben, wenn du das so sagst.«
»Es ist aber nicht übertrieben.«
»Es war bestimmt nicht leicht, die Stiefmutter eines verwöhnten Görs wie dir zu werden.«
»Wenn du ihr damals begegnet wärst, würdest du sie nicht verteidigen.«
»Oh doch, du hattest bestimmt Prügel verdient.«
»Nathan.«
Jetzt war das Gespräch zu einem Spiel geworden, er hatte diese Fähigkeit, sie all das Schreckliche und die Wunden vergessen zu lassen, er liebte es, mit ihr zu balgen und ihr dabei die Kleider vom Leib zu reißen, jedes Kleidungsstück eine Trophäe. Dann legte er sich zwischen ihre Beine, küsste und bearbeitete sie, bis sie von Orgasmen durchzuckt wurde. Er genoss ihre Überraschung, ihre Dankbarkeit. Eine Frau in ihrem Alter, vollkommen unerfahren.
Dennoch hatte sie ein Kind getragen.
Als sie es ihm erzählte, sagte er, er habe so etwas geahnt. Sie war weiter, umschloss ihn nicht so eng wie die ganz Jungen. Er erklärte ihr wortreich, dass sie dadurch nicht weniger attraktiv war. Es waren nicht zuletzt diese Gegensätze, die ihn faszinierten: Sie war üppig und aufreizend, aber dennoch so unverstellt.
Die Sache mit dem Vogel fand er vollkommen verrückt. Er begleitete sie einmal nach Hause, und der Vogel flog heran und ließ ihn vor Überraschung aufschreien. Sie hatte gehofft, er würde Freundschaft empfinden. Sie war gezwungen, die Tür zum Speicher zu schließen, solange Nathan im Haus war. Das war der Vogel nicht gewohnt. Sie hörte, wie er dort oben schrie und umherflog.
»Ich werde ihn freilassen«, sagte Nathan. »Das ist doch Tierquälerei.«
»Wenn du das machst, stirbt er. Sie greifen ihn da draußen an, sie hacken ihn zu Tode.«
»Ist es nicht besser, einen schnellen, wenn auch brutalen Tod zu sterben, als in einem Haus leben zu müssen, das nur für Menschen gedacht ist?«
»Du verstehst das nicht, er mag dieses Haus, und ich bin seine Freundin.«
»Besonders hygienisch kann das auch nicht gerade sein.«
»Die Leute müssen immer etwas von Sauberkeit faseln. Findest du etwa, dass es bei mir zu Hause dreckig aussieht?«
»Nein, aber …«
»Jetzt vergiss den Vogel. Komm, ich zeige dir was anderes.«
Sie zeigte ihm Bilder, auf denen sie als
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