Gute Nacht, mein Geliebter
weiße Frau oder ein weißer Mann seinen Fuß gesetzt hat. Noch gibt es die Möglichkeit, hier zu bleiben. Bis morgen könnt ihr die Sache noch einmal überschlafen.«
Abends führte Ben sie in ein chinesisches Restaurant aus, in dem es auch Bier gab. Justine hätte am liebsten ein Glas Wein getrunken, aber so etwas schien es in diesem Land nicht zu geben. Sie saß neben Heinrich aus Deutschland, der ihr sofort sympathisch war. Er und seine Frau hatten sich vorgenommen zu reisen, sobald sie pensioniert würden, aber seine Frau erkrankte an Krebs und war vor einem knappen Jahr gestorben.
»Ich hörte auf zu arbeiten, als sie starb, jetzt mache ich das hier für sie und mich«, vertraute er ihr an. »Es ist fast so, als wäre sie die ganze Zeit bei mir. Ich rede abends mit ihr, erzähle ihr, was ich gemacht habe. Jemand zu haben, mit dem man seine Erlebnisse teilen kann, ist ja fast schon das halbe Vergnügen.«
Das Bier ließ sie entspannter werden.
»Es ist schwer, jemanden zu verlieren, den man liebt«, sagte sie.
»Else war so süß …« Er holte seine Brieftasche hervor und zeigte ihr kurz und etwas verlegen ein Foto seiner toten Frau. Sie sah wenig spektakulär aus. Justine wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Wir waren fast vierzig Jahre lang verheiratet. Und ihr, wie lange seid ihr schon verheiratet?«
»Wir? Nein, Nathan und ich … Wir sind, ich weiß nicht, wie man das auf Englisch nennt. Wir sind zusammen, aber nicht verheiratet, und wir wohnen auch nicht zusammen.«
»Lovers?«
»Nein, mehr als das. Wir werden vermutlich heiraten, wir haben davon gesprochen.«
Martina hatte sich umgezogen und trug ein Kleid, ihr Haar glänzte frisch gewaschen. Sie saß lange Zeit stumm da und betrachtete sie alle, einen nach dem anderen. Als sie zu Justine kam, sagte sie schnell auf Schwedisch:
»Die ersten weißen Frauen im Dschungel. Was sagst du dazu?«
Der jüngere Deutsche, Stephan, rief dazwischen und legte seinen Arm um sie.
»Hallo, hallo, auf Englisch, bitte!«
»Ich habe Justine nur gesagt, dass es ihr, mir und deiner Freundin Katrin im Urwald ganz wunderbar gehen wird, umgeben von so vielen hübschen Kerlen.«
Als sie in ihr Hotelzimmer zurückkamen, packten sie ihre Sachen. Am frühen Morgen wollten sie sich auf den Weg machen. Sie würden mit dem Bus ins Landesinnere bis zu einer kleinen Stadt am Rande des Dschungels fahren, wo sie übernachten und die notwendigen Einkäufe erledigen wollten.
Justine war fertig mit dem Packen, sie hatte sich ins Bett gelegt. Eine seltsame Wehmut hatte sie ergriffen. Sie dachte, dass es an ihren Tagen lag, ihr Körper war aufgedunsen und prall.
»Kanntest du jemand von den Leuten schon vorher?«, fragte sie.
»Nein.«
»Aber du hast doch gesagt, Martina habe dir versprochen, eine Reportage zu machen?«
»Ich habe sie gestern getroffen, während du deinen Schönheitsschlaf gemacht hast.«
»Davon hast du mir gar nichts erzählt.«
»Muss ich dir jetzt über jeden meiner Schritte Rechenschaft ablegen?«
»So habe ich das nicht gemeint …«
»Nein, natürlich nicht!«
»Es kommt mir ein wenig waghalsig vor, ein junges, schwedisches Mädchen, das ganz allein unterwegs ist.«
»Findest du? Die Mädels sind heutzutage ziemlich auf Draht.«
Sie konnte es nicht lassen:
»Nathan …?«
»Ja.«
»Findest du sie sexy …?«
»Dummkopf. Niemand kann dir das Wasser reichen, das weißt du doch.«
»Stimmt das auch?«
»Zum Teufel, sie könnte meine Tochter sein!«
In dieser Nacht bekam sie Schüttelfrost. Sie schreckte mitten aus einem Traum auf. Ein Körper unter Blättern, sie selbst. Der Durst war in ihr, ließ sich nicht löschen, pflügte ihre Zunge, die voller Furchen war. Sie tastete in der Dunkelheit um sich, alles war schwarz. Sie lag auf der Seite, das obere Bein lastete schwer auf dem unteren, den Knien und Gelenken.
Sie weinte lautlos.
»Nathan …«
Als er endlich wach wurde, war er wütend.
»Wir müssen verdammt noch mal schlafen, morgen ist ein harter Tag.«
Es war fünf nach zwei.
Seine Fingerspitzen.
»Scheiße, du glühst ja.«
Er holte Aspirin und Wasser.
»Sieh zu, dass du wieder gesund wirst, Liebling, das wird sonst wirklich sehr schwierig.«
»Ja, Nathan, ich weiß …«
Der Muezzin. Seine harte, schallende Stimme. Sie fror, wie sie noch nie in ihrem Leben gefroren hatte.
»Ich muss auf Toilette …«
Er schleppte sie hinaus, kühlte ihr Gesicht. Sie sah, wie sich etwas in der Ecke bewegte. Sie schrie und
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