Gute Nacht, mein Geliebter
Kind zu sehen war, das Bild ihrer Mutter und das Hochzeitsfoto von Flora und ihrem Vater.
»Aha … Das also ist die legendäre Flora?«
»Ja.«
»Das reinste Knochengestell.«
»Sie ist immer schlank und schön gewesen.«
»So eine, die überall klappert. Nein, Justine, du bist schön, du bist, wie eine Frau sein soll. Rund und lebendig, da hat ein Kerl richtig was zum Anfassen.«
Und er drückte seinen Mund gegen ihren Unterarm und machte ihr einen großen und dunkelroten Knutschfleck.
Als er ihr Posthorn sah, nahm er es von seinem Haken herunter und versuchte, darauf zu blasen. Keinen Ton entlockte er dem Horn. Er strengte sich so sehr an, dass sein Kopf rot anlief.
»Es ist nicht in Ordnung, oder?«, sagte er.
Sie nahm es ihm ab. Sie hatte ein paar Melodien komponiert, als sie noch ein Kind war, aber sie waren einfach und leicht zu merken. Jetzt spielte sie ihm ein paar von ihnen vor.
Er wollte es noch einmal versuchen. Er blies und prustete, brachte schließlich einen Ton hervor, der heiser und unmelodisch war.
»Ich habe es von Anfang an gekonnt«, sagte sie bescheiden.
»Ich bekam es einmal von meinem Vater geschenkt. Er sagte, es sei wie für mich gemacht.«
Auch Nathan fand, dass sie das Haus verkaufen sollte.
»Und zwar bevor der Vogel alles kaputtgemacht und verdreckt hat.«
»Du verstehst das nicht. Ich will hier wohnen. Meine Mama hat sich dieses Haus ausgesucht. Ich habe immer hier gelebt.«
»Gerade deshalb. Was meinst du, in wie vielen Häusern ich schon gewohnt habe? Ich weiß es selbst nicht einmal mehr. Man muss in Bewegung bleiben, sich neue Perspektiven erobern. Man verkümmert, wenn man jeden Tag die gleiche beschissene Aussicht hat. Verstehst du das nicht? Man muss sich entwickeln, Justine, muss wagen, sich auf Abenteuer einzulassen.«
Sie trafen sich bei Ben. Die beiden Norweger waren bereits da, als Justine und Nathan ankamen. Sie waren knapp dreißig, hießen Ole und Stein. Kurze Zeit später tauchten auch der Isländer und die drei Deutschen auf, Heinrich, Stephan und Katrin. Heinrich war der Älteste in ihrer Gruppe, etwas über sechzig Jahre alt. Der Isländer hieß Gudmundur.
Dann kam Martina, öffnete die Tür und trat ein. Setzte sich, als würde sie alle schon kennen, als wäre sie nur kurz weg gewesen, um ein paar Dinge zu erledigen:
»Hallöchen. Wartet ihr schon lange auf mich?«
Sie trug eine dünne Baumwollhose, so dünn, dass man den Slip unter dem Stoff erahnen konnte. Sie hatte ihr Haar hinten hochgesteckt. Über die Schulter trug sie an einem breiten Gurt ihre Kamera, groß und professionell.
Einer der Norweger stieß einen Pfiff aus.
»Eine Nikon? Ist das eine F4?«
»Ja«, erwiderte Martina. »Das ist meine Dienstkamera.«
»Dann bist du Fotografin?«
»Nein, eigentlich freie Journalistin. Aber da muss man auch fotografieren.«
»Die ist doch bestimmt ganz schön schwer! Willst du die etwa im Dschungel mitschleppen?«
»Ich habe sie letztes Jahr um den halben Globus mitgeschleppt, da wird es auch hier gehen.«
Sie würde die jüngste Teilnehmerin sein. Sie war fünfundzwanzig und gewohnt, allein zu reisen.
»Martina hat versprochen, eine Reportage über unsere Exkursion zu machen«, sagte Nathan. »Sie wird mit anderen Worten bei der Vermarktung meines neu gegründeten Unternehmens behilflich sein, und ihr seid die Testgruppe. Alles hängt also von euch ab …«
Alle lachten.
Ben ging ein paar Sachen mit ihnen durch, die alle wissen mussten. Er entschied, dass alle von jetzt an nur noch Englisch miteinander sprechen sollten.
»Dann braucht sich niemand ausgeschlossen zu fühlen. Etwas sollt ihr wissen, die ihr hier in diesem Raum sitzt. Ihr gehört zu den wenigen Menschen, die sich glücklich schätzen können, einen der schönsten Orte auf dieser Erde zu besuchen: den Regenwald mit seinem Reichtum an Tieren und Pflanzen. Den Regenwald, den es zwar noch gibt, dessen Fläche aber ständig verkleinert wird. Ich möchte auch, dass ihr darauf vorbereitet seid, was es bedeutet, an dieser Expedition teilzunehmen … Einige von euch werden finden, dass es teilweise recht anstrengend ist, wir müssen immerhin auch unsere Ausrüstung schleppen. Es gibt keine Wege oder Pfade im Dschungel. Wir müssen kriechen, klettern und balancieren. Wir werden uns den Weg mit dem Parang freihauen müssen, so heißen die Dschungelmesser, die wir morgen kaufen werden, wenn wir unsere Ausrüstung vervollständigen. Wir werden Land betreten, auf das nie zuvor eine
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