Gute Nacht, mein Geliebter
nichts Schlimmes geschehen würde, dass sie immer, immer zusammenbleiben würden.
»Ich bin okay«, flüsterte sie.
»Du kommst mir etwas niedergeschlagen vor.«
»Nein, es ist nichts. Ich bin nur müde.«
»Wir werden runtergehen und eine Kleinigkeit essen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich nicht.«
»Bist du zu müde?«
»Ja.«
»Ich muss jedenfalls etwas essen.«
Er ging. Es gab keine Laken auf dem Bett, nur einen dünnen, geblümten Überzug um die Matratze. Es fühlte sich an, als läge sie auf Sand, aber als sie versuchte, den Überzug abzubürsten, war er ganz glatt. Sie wollte sich mit etwas zudecken, nicht weil sie fror, sondern weil sie es so gewohnt war. Sie fühlte sich nackt und schutzlos.
Sie hörte, wie sich die anderen im Erdgeschoss versammelten. Das Zimmer war quadratisch, der Fußboden aus grauem Zement. Das einzige Möbelstück im Raum war das Bett. Durch das vergitterte Fenster stieg ein Chor aus Zikaden und Fröschen zu ihr hinauf.
Sie setzte sich auf, es juckte und brannte an allen Stellen, wo Haut auf Haut lag. Sie zog sich an und ging in den Flur hinaus. Am Ende des Flurs gab es ein altes und verfärbtes Waschbecken. Rechts lagen eine Dusche und eine asiatische Toilette. Sie ging in die Dusche und zog sich aus. Es gab keine Haken für die Kleider. Justine hängte sie über die Türklinke, aber während sie duschte, wurden sie nass gespritzt.
Sie wusch ihren BH und den Slip aus. In ihr Handtuch gehüllt lief sie ins Zimmer zurück. Wenn jemand sie so sähe? Es schickte sich wahrscheinlich nicht, sich in einer muslimischen Pension nur mit einem Handtuch bekleidet zu zeigen. Vielleicht wurde man zur Strafe öffentlich ausgepeitscht oder zu Tode gesteinigt. Sie zog ein T-Shirt an und eine lange Hose, breitete die nassen Sachen auf dem Fußboden aus. Das Haar kühlte angenehm den Kopf, sie merkte, dass sie Hunger hatte. Sie war auf dem besten Wege, wieder gesund zu werden.
Vorsichtig ging sie die steile und dunkle Treppe hinunter. Ein Fernsehapparat lief, ein paar jüngere Burschen saßen davor und schenkten ihr keine Beachtung. Eine Frau schaute hinter einem Vorhang hervor.
»Have you seen my friends?«, fragte Justine.
Dann entdeckte sie die anderen. Sie hatten sich an ein paar Tischen auf der Straße niedergelassen. Sie stellte sich in den Türrahmen. Die anderen bemerkten sie nicht. Martina saß in der Mitte. Sie war gerade dabei, ihnen etwas zu erzählen.
Nathan saß neben ihr. Er saß ihr so nahe, dass seine Hand an ihrem Bein ruhte.
Eine ganze Weile blieb sie so stehen und betrachtete die anderen, ihre leuchtenden Gesichter, wie intensiv sie lauschten. Etwas sperrte sich in ihr. Sie brachte es nicht über sich, zu ihnen hinauszugehen, konnte aber auch nicht wieder hinaufgehen. Alle Geräusche des Tages schwirrten ihr durch den Kopf, Motoren, Stimmen, Zikaden. Sie stand da, als wäre sie zu einer Statue erstarrt: zu einer wenig charmanten, blassen, fetten Touristin mittleren Alters.
Ben bemerkte sie als Erster. Er stand auf und kam ihr entgegen.
»Setz dich zu uns, Justine. Ich werde dir etwas zu essen holen.«
»Was macht ihr?«
»Nichts. Wir haben etwas gegessen, wir sitzen da und lassen es uns gut gehen.«
Sie trat zwischen die Stühle.
»Ich dachte, du schläfst«, sagte Nathan.
»Aha«, antwortete sie kurz.
Heinrich gab ihr einen Klaps auf die Wange.
»Es ist gut, dass du dich ausruhst. Damit du morgen fit bist.«
Sie nickte. Ihr schossen Tränen in die Augen, sie zog sich schnell ihre Sonnenbrille an.
»Jetzt siehst du aus wie Greta Garbo«, sagte Stephan. Er sprach Englisch mit starkem deutschen Akzent. Katrin ahmte ihn spöttisch nach. Dann sprach sie die Worte nochmal aus, extrem deutlich. Stephan und Katrin waren verlobt. Sie waren durchtrainiert, Justine bemerkte ihre muskulösen Waden. Die beiden würden keine Mühe haben, im Dschungel mitzuhalten.
Sie zwang sich, etwas zu sagen.
»Was habt ihr gegessen?«
Katrin prustete los.
»Rat mal!«
»Keine Ahnung …«
»Flajd lajs and tjicken.«
»Das ist das malaysische Nationalgericht«, sagte einer der Norweger.
Justine fiel es schwer, die jungen norwegischen Männer voneinander zu unterscheiden.
»Bist du Stein oder Ole?«, fragte sie.
»Ole natürlich. Sollen wir in Zukunft vielleicht Namensschilder tragen?«
»Aber ihr seid euch wirklich ähnlich.«
»Sind wir das? Das hast du aber nicht nett gesagt.«
Sie brachen in Gelächter aus, das gleiche glucksende, wohlwollende Lachen.
»Es liegt
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