Gute Nacht: Thriller (German Edition)
jetzt?«
»Erklär’s mir.«
»Wenn es nicht das wahre Motiv des Killers war, dass das Opfer einen hunderttausend Dollar teuren Mercedes fuhr, dann müssen wir davon ausgehen, dass der hunderttausend Dollar teure Mercedes keine Rolle spielte. Dass es einfach nur Zufall war. Ist dir so was schon mal untergekommen, Davey? Das ist ungefähr so, als hätten alle Opfer des Finanzbetrügers Bernie Madoff zufällig ein Kobold-Tattoo am Arsch. Kannst du mir folgen?«
»Kann ich, Jack. Stört dich sonst noch was an meiner E-Mail?«
»Allerdings: eine von deinen Fragen. Genau genommen, drei Fragen, die alle irgendwie um das gleiche Thema kreisen. Waren alle Morde gleich wichtig? War die Reihenfolge von Bedeutung? Wurden die einen erst durch die anderen notwendig? Möchtest du mir vielleicht erklären, was dich an dem Fall auf dieses Thema gebracht hat?«
»Manchmal interessiere ich mich vor allem für das, was fehlt. Und wegen der vorherrschenden Hypothese in diesem Fall fehlt eine ganze Menge: nicht gestellte Fragen, nicht untersuchte Anhaltspunkte. Von Anfang an galt die Annahme, dass der Killer mit seinen Taten ein moralisches Bekenntnis ablegen wollte und dass demzufolge alle Morde den gleichen Stellenwert haben. Nachdem das akzeptiert war, hat sie niemand mehr als Einzelereignisse mit vielleicht unterschiedlichem Zweck betrachtet. Aber es ist durchaus möglich, dass die Morde nicht alle gleich wichtig waren oder aus dem gleichen Grund begangen wurden. Verstehst du, Jack?«
»Schwer zu sagen. Kannst du das vielleicht ein bisschen genauer erklären?«
»Kennst du den Film Der Mann mit dem schwarzen Regenschirm ?«
Er kannte ihn nicht, hatte auch noch nie von ihm gehört. Also erzählte ihm Gurney die Geschichte und schloss mit der Spekulation, die er schon mit Madeleine angestellt hatte: Und wenn die Killer alle erschießen?
Nach langem Zögern stellte Hardwick eine ganz ähnliche Frage wie Madeleine. »Du meinst, dass die Anschläge eins bis fünf Fehler waren? Dass er erst beim sechsten ins Schwarze getroffen hat? Da komm ich nicht ganz mit. Ich meine, wenn es ein Profi war wie die Typen in diesem Film, woran sollte er dann sein Opfer erkennen? Nur daran, dass es ein Spitzenmodell von Mercedes fährt? Hatte er also den Auftrag, in der Nacht rumzukurven und mit der größten Knarre der Welt durch ein paar Mercedesfenster zu ballern in der Hoffnung, irgendwann den Richtigen zu erwischen? Das finde ich ziemlich unwahrscheinlich.«
»Ich auch. Aber weißt du was? Irgendwie krieg ich allmählich das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Platz stehe, wenn ich auch noch nicht sicher bin, was für ein Spiel hier gespielt wird.«
»Nicht sicher ? Gib doch zu, dass du keinen Schimmer hast.«
»Man muss positiv denken.«
»Hast du noch mehr so kluge Sprüche auf Lager, Sherlock, bevor ich kotze?«
»Nur eine Sache. Special Agent Trout ist ganz fixiert darauf, dass mir unter Umständen geheime Informationen zugespielt wurden, zu deren Einsicht ich nicht befugt bin. Pass lieber auf, Jack.«
»Trout kann mich mal. Soll ich dir zusätzlich irgendwelchen anderen geheimen Scheiß rüberschaufeln?«
»Wenn du schon fragst … Hat die Suche nach Emilio Corazon was ergeben?«
»Bis jetzt nicht. Der Mann hat sich erstaunlich unsichtbar gemacht.«
Um Viertel vor neun brach Madeleine zu ihrer Arbeit in der Klinik auf. Es regnete noch immer.
Gurney setzte sich an den Computer und rief die E-Mail an Hardwick auf, um erneut die Liste mit Fragen durchzugehen. Gleich an der dritten blieb er hängen: Warum wurden die Morde in einem kurzen Zeitraum im Frühjahr 2000 begangen? Je sicherer er sich war, dass hinter den Morden ein handfestes Motiv steckte, desto bedeutender erschien ihm der zeitliche Rahmen.
Normalerweise passten Morde mit psychopathischem Hintergrund in zwei verschiedene Schemata. Da war einmal der große Knall, bei dem der Täter in eine Örtlichkeit wie das Postamt oder eine Moschee marschiert, wo er mit der Anwesenheit vieler Menschen rechnen kann, und wahllos um sich schießt, ohne einen Fluchtplan zu haben. In neunundneunzig von hundert Fällen endeten diese Kerle (und es sind immer Kerle) damit, dass sie sich erschießen, wenn sich um sie herum nichts mehr rührt. Dann gab es die andere Sorte – jene Kerle, die ihr Gift zehn oder zwanzig Jahre lang versprühen. Die alle ein, zwei Jahre jemandem den Kopf oder die Hand wegsprengen, aber keine Lust auf Selbstmord haben.
Die Morde des Guten Hirten ließen sich
Weitere Kostenlose Bücher