Gute Nacht: Thriller (German Edition)
sein Handy führte Detective James Schiff Gurney vom Empfangsbereich durch zwei Korridore in einen freien Verhörraum. Er ließ die Tür offen und setzte sich nicht. Auch Gurney bot er keinen Stuhl an. Der Mann rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und kämpfte gegen ein Gähnen an. Vergeblich.
»Langer Tag?«
»Kann man so sagen. Bin seit achtzehn Stunden ununterbrochen im Dienst. Hab noch sechs vor mir.«
»Papierkram?«
»Richtig hoch zwei. Wissen Sie, mein Freund, die Abteilung hier hat genau die falsche Größe. Es reicht für den gleichen bürokratischen Müll wie in der Großstadt, aber es reicht nicht zum Verstecken. Letzte Nacht hatten wir eine Razzia in einem Crackhaus, das unerwartet voll war. Fazit: eine Gewahrsamszelle voller Penner, die andere voller Crackhuren und ein Berg von Beweismittelbeuteln, die ausgewertet werden müssen. Also, kommen wir zur Sache. Wieso interessiert sich das New York Police Department für Kim Corazon?«
»Entschuldigung … Vielleicht habe ich mich am Telefon nicht klar genug ausgedrückt. Ich war beim NYPD , bin jedoch inzwischen im Ruhestand. Seit zweieinhalb Jahren.«
»Im Ruhestand ? Hab ich wohl verpasst. Was sind Sie dann? Ein Privatermittler?«
»Eher ein Freund der Familie. Kims Mutter ist Journalistin, sie schreibt auch viel über die Polizei. Unsere Wege haben sich gekreuzt, als ich noch im Dienst war.«
»Kennen Sie Kim gut?«
»Nein. Ich helfe ihr nur bei einem journalistischen Projekt, bei dem es um ungelöste Morde geht. Aber heute sind wir auf eine kleine Komplikation gestoßen.«
»Hören Sie, ich hab nicht viel Zeit. Geht’s vielleicht ein bisschen deutlicher?«
»Die junge Dame hat einen Stalker am Hals, und zwar keinen besonders netten.«
»Tatsächlich?«
»Wussten Sie das nicht?«
Schiffs Blick verdüsterte sich. »Jetzt bin ich verwirrt. Warum führen wir dieses Gespräch?«
»Gute Frage. Wären Sie überrascht, wenn ich Ihnen erzähle, dass es in Kim Corazons Wohnung neue Beweise für ein unbefugtes Eindringen und eine ziemlich bizarre Art von Vandalismus gibt – und das alles mit der klaren Absicht, sie einzuschüchtern?«
»Überrascht? Kann ich nicht behaupten. Das Ganze haben wir schon einige Male mit Ms. Corazon durchexerziert.«
»Und?«
»Ein Haufen Löcher.«
»Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen.«
Schiff pulte sich ein wenig Schmalz aus dem Ohr und schnippte es auf den Boden. »Hat Sie Ihnen gesagt, wer ihrer Meinung nach dahintersteckt?«
»Ihr Exfreund Robby Meese.«
»Haben Sie schon mit ihm geredet?«
»Nein. Sie?«
»Ja, ich hab mit ihm geredet.« Erneut warf er einen Blick auf sein Handy. »Also, ich habe genau drei Minuten für Sie übrig. Ein Gefallen unter Kollegen. Apropos, haben Sie einen Ausweis dabei?«
Gurney zeigte ihm seine Gewerkschaftskarte und den Führerschein.
»Also schön, Mister NYPD , kurze Zusammenfassung, ganz inoffiziell. Im Prinzip klingt die Geschichte von Meese genauso gut wie die von Ms. Corazon. Beide behaupten, der andere ist wütend und hat die Trennung schlecht verkraftet. Sie sagt, dass er drei- oder viermal in ihre Wohnung eingedrungen ist. Ein Haufen blöder Scheiß: Türknauf gelockert, Sachen bewegt und versteckt, Messer weggenommen, Messer zurückgelegt …«
Gurney unterbrach ihn. »Sie meinen, ein Messer auf dem Boden im Bad deponiert und daneben einen Tropfen Blut hinterlassen. Von Messer zurücklegen würde ich da nicht reden. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wie Sie so was ignorieren …«
»Immer langsam! Niemand hat was ignoriert. Bei den ersten Sachen – Türknauf und so weiter – waren immer Uniformierte vor Ort. Sind wir gleich hingerannt, um den Türknauf auf Fingerabdrücke zu untersuchen? Dazu müssten wir verrückt sein. Wir leben hier in einer Stadt mit echten Problemen. Trotzdem: Die Vorschriften wurden eingehalten. Ich hab alle Berichte in der Fallakte. Die spätere Anzeige wegen der Blutstropfen wurde von der Streife an uns weitergeleitet. Ich war mit meinem Partner dort, und wir haben uns umgesehen: Proben fürs Labor, Fingerabdrücke am Messer und so weiter. Wie sich rausstellte, stammten die einzigen Fingerabdrücke von Ms. Corazon. Die kleinen Tropfen auf dem Boden waren Rinderblut. Wie von einem Steak oder so.«
»Haben Sie Meese vernommen?«
»Natürlich haben wir Meese vernommen.«
»Und?«
»Er gibt nichts zu, und wir haben keine Beweise, dass er in die Sache verwickelt ist. Er bleibt bei seiner Geschichte, dass Corazon eine
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