Gute Nacht: Thriller (German Edition)
Projekts überwiegen die Vorteile. Sie haben gute Absichten, doch selbst gute Absichten können Leid erzeugen – vor allem wenn intime Gefühle öffentlich gemacht werden. Viertens: Nach all den Jahren bleiben meine persönlichen Erfahrungen für mich der beste Beweis für die Wahrheit meiner Worte. Ich habe das bereits angedeutet, Kim, aber vielleicht muss ich deutlicher werden. Als ich vor neunzehn Jahren Zahnmedizin studierte, wurde eine gute Bekannte von mir an einer anderen Universität getötet. Ich erinnere mich noch genau an die hysterische, seichte, billige, abstoßende Berichterstattung. Die traurige Wahrheit ist, dass die grundlegenden Zwänge im Mediengeschäft die Produktion von Schund begünstigen. Der Markt für Schund ist größer als der für sensible, einfühlsame Stellungnahmen. Das ist einfach die Natur des Geschäfts und des Publikums. Eine Frage der Ökonomie.«
So ging es noch einige Male hin und her. Beide brachten die bereits dargelegten Gedanken vor und überspielten dabei höflich ihren grundsätzlichen Gegensatz. Schließlich bekundete Sterne nach einem Blick auf die Uhr sein Bedauern darüber, die Unterhaltung nicht fortsetzen zu können.
»Pendeln Sie jeden Tag zwischen hier und Ihrer Praxis in der Stadt?«, fragte Gurney.
»Nur ein- oder zweimal pro Woche. Mit der praktischen Arbeit bin ich kaum mehr befasst. Die Praxis ist inzwischen ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum, und ich bin eher eine Art Vorstandsvorsitzender als ein praktizierender Zahnarzt. Erfreulicherweise kann ich mich auf meine Partner und Verwaltungskräfte voll und ganz verlassen. Daher bin ich den größten Teil meiner Zeit mit anderen medizinischen und zahnärztlichen Organisationen beschäftigt – Wohlfahrtseinrichtungen und dergleichen. In dieser Hinsicht kann ich mich wirklich glücklich schätzen.«
»Larry, Liebling …« In der Tür zum Wohnzimmer stand eine große, wohlproportionierte Frau mit Mandelaugen, die auf eine zierliche goldene Uhr an ihrem Handgelenk deutete.
»Ja, Lila, ich weiß. Meine Gäste brechen gerade auf.«
Lächelnd zog sie sich zurück.
Als Sterne sie hinausbegleitete, forderte er Kim auf, sich ihre Offenheit zu bewahren und weiterhin in Kontakt mit ihm zu bleiben. Mit einem höflichen Lächeln schüttelte er Gurney die Hand. »Ich hoffe, wir haben irgendwann mal die Gelegenheit zu einem Gespräch über Ihre Tätigkeit bei der Polizei. Der Artikel von Kims Mutter klingt wirklich faszinierend.«
In diesem Moment fiel Gurney ein, an wen ihn der Mann erinnerte.
An den netten Mister Rogers aus der berühmten Fernsehserie.
Mister Rogers mit einer Ehefrau aus dem Harem eines Sultans.
10
Ein völlig anderer Standpunkt
Am Ende von Sternes Auffahrt hielt Kim den Wagen an, obwohl auf der Straße kein Verkehr war. »Bevor du fragst«, bekannte sie, »die Antwort lautet Ja. Als ich das Treffen ausgemacht und vereinbart habe, dass du mitkommst, hab ich ihm den Link zu Connies Artikel gegeben.«
Gurney sagte nichts.
»Bist du deswegen jetzt sauer auf mich?«
»Ich komm mir vor wie bei einer archäologischen Ausgrabung.«
»Was meinst du damit?«
»Ständig tauchen neue Bruchstücke auf. Ich frage mich, was als Nächstes auf mich wartet.«
»Es gibt nichts ›Nächstes‹. Zumindest fällt mir nichts ein. War es bei deiner Arbeit auch so?«
»Was?«
»Wie bei einer archäologischen Ausgrabung.«
»In mancher Hinsicht ja.«
Tatsächlich war ihm dieses Bild häufig eingefallen: Puzzleteilchen entdecken, auslegen, ihre Formen und Beschaffenheit unter die Lupe nehmen, sie probeweise zusammenfügen, nach Mustern suchen. Ab und zu konnte man sich dabei Zeit lassen. Doch meistens musste man
schnell sein – im Fall einer andauernden Mordserie zum Beispiel konnten Verzögerungen beim Aufspüren und Deuten der Bruchstücke zu weiteren Morden und weiterem Grauen führen.
Kim nahm ihr Handy heraus und schaute Gurney an. »Es ist noch nicht mal drei, weißt du, da dachte ich mir … Wärst du vielleicht zu einem weiteren Treffen bereit, bevor ich dich nach Hause fahre?« Ehe er antworten konnte, fügte sie schnell hinzu: »Es liegt auf dem Weg, es würde also nicht viel länger dauern.«
»Ich muss um sechs zu Hause sein.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber er wollte eine Grenze ziehen.
»Das sollte kein Problem sein.« Nachdem sie die Nummer eingetippt hatte, hielt sie sich das Telefon ans Ohr und wartete. »Roberta? Hier ist Kim Corazon.«
Nach einer Unterhaltung, die
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