Gute Nacht: Thriller (German Edition)
all ihrer fauchenden Wut – besaß keine reale Grundlage? Bei der Vorstellung, dass Bilder und Geräusche unter Umständen nur die Folgen von geschädigtem Gewebe und gestörten Synapsen waren, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
Vielleicht war es seine unbewusste Unsicherheit in diesem Punkt, die ihn davon abgehalten hatte, das Flüstern gegenüber dem Streifenpolizisten zu erwähnen, der auf seinen Notruf hin in Kims Apartment erschienen war. Und vielleicht hatte ihn dieselbe Unsicherheit dazu bewogen, das Flüstern auch Schiff zu verschweigen, als dieser eine halbe Stunde später eintraf.
Schiffs Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Doch eins stand fest: Erfreut war er nicht. Immer wieder musterte er Gurney, als würde er spüren, dass ein Teil der Geschichte fehlte. Dann stellte der skeptische Detective Kim eine Reihe von Fragen, um den Zeitrahmen zu bestimmen, in dem der »Vandalismus« stattgefunden hatte.
»So bezeichnen Sie das?«, warf Gurney ein, nachdem Schiff den Ausdruck zum zweiten Mal benutzt hatte. »Vandalismus?«
»Fürs Erste, ja«, entgegnete Schiff ausdruckslos. »Haben Sie damit ein Problem?«
»Eine ziemlich schmerzhafte Art von Vandalismus.« Gurney rieb sich langsam den Unterarm.
»Brauchen Sie einen Krankenwagen?«
Bevor Gurney antworten konnte, sagte Kim: »Ich fahre ihn in die Notaufnahme.«
»Tatsächlich?« Schiff fixierte Gurney.
»Klingt gut.«
Schiff starrte ihn einen Moment an, dann wandte er sich an den Streifenpolizisten, der sich im Hintergrund hielt. »Notieren Sie bitte, dass Mr. Gurney einen Transport mit dem Krankenwagen abgelehnt hat.«
Gurney lächelte. »Wie steht es eigentlich mit den Kameras?«
Schiff tat, als hätte er die Frage nicht gehört.
Gurney zuckte die Achseln. »Gestern wäre ein guter Tag gewesen, um sie anzubringen.«
In Schiffs Augen zuckte es zornig. Nach einem letzten Blick durch den Keller knurrte er etwas von Fingerabdrücken am Sicherungskasten und fragte nach der umgestürzten Truhe.
Dann hob er die abgesägte Stufe auf und trug sie nach oben. In den nächsten zehn Minuten untersuchte er die Fenster und Türen des Apartments. Fragte Kim nach irgendwelchen ungewöhnlichen Kontakten in den letzten Tagen und generell nach Kontakten mit Meese. Nachdem er sich erkundigt hatte, wie er am nächsten Tag in die Wohnung kommen konnte, falls sich die Notwendigkeit ergab, verschwand er, den Streifenbeamten im Schlepptau.
17
Eine einfache Recherche
Inzwischen wirkte das Schlafzimmer ein wenig heller und die Bettdecke wärmer. Gurney hatte das Gefühl, eine einigermaßen ordentliche und vollständige Rekonstruktion der Ereignisse vom Vorabend hinbekommen zu haben. Bedeutung, Ursachen, Zweck und Motive blieben noch zu ergründen. Doch zumindest einen Anfang hatte er geschafft.
Er schloss die Augen.
Wenige Minuten später weckte ihn Telefonläuten, gefolgt von Schritten. Nach dem vierten Ton antwortete Madeleines Stimme, die er undeutlich aus dem Arbeitszimmer hörte. Einige Sätze, Stille, dann erneut Schritte. Wahrscheinlich war sie unterwegs, um ihm das Telefon zu bringen. Jemand wollte ihn sprechen. Der Neurologe Huffbarger? Er dachte an den gereizten Wortwechsel mit der Angestellten in der Praxis des Arztes. Mein Gott, wie lang war das her? Zwei Tage? Drei? Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit.
Die Schritte passierten die Schlafzimmertür und steuerten auf die Küche zu.
Weibliche Stimmen.
Madeleine und Kim.
Kim hatte ihn nach Walnut Crossing gefahren, weil er bei dem Versuch, den Schaltknüppel seines Outback zu umfassen, ein glühendes Stechen im Ellbogen gespürt hatte. Da lag natürlich der Gedanke nahe, dass sein Arm womöglich gebrochen und es vielleicht nicht sonderlich schlau war, damit zu schalten. Und Kim schien sichtlich froh, dass sie die Nacht nicht in ihrem Apartment verbringen musste.
Selbst nachdem die Röntgenaufnahmen in der Notaufnahme ergeben hatten, dass es kein Bruch war, ließ sie sich nicht davon abbringen, dass es zu gefährlich für ihn war, sich ans Steuer zu setzen.
Etwas an Kims Auftreten, an der Art, wie sie mit den Dingen umging, brachte ihn zum Lächeln. Wenn es um eine Hilfsaktion ging, war sie gern bereit, ihre Wohnung zu verlassen, aber niemals, weil sie es vor Angst nicht mehr dort aushielt.
Mühsam erhob er sich – und spürte erneut Muskelschmerzen. Er nahm vier Ibuprofen und stellte sich unter die Dusche.
Die Dusche und die Pillen übten bis zu einem gewissen Grad einen erholsamen Zauber aus.
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