Gute Nacht: Thriller (German Edition)
glücklich.«
»Bist du sauer, weil du dir vorstellst, wie er Kriminelle verteidigt?«
»Ich bin nicht sauer.«
Ihr zweifelnder Blick sprach Bände.
»Na gut, dann bin ich vielleicht sauer. Keine Ahnung, was los ist. Anscheinend geht mir in letzter Zeit alles auf die Nerven.«
Madeleine zuckte die Achseln. »Bitte denk daran, dass es dein Sohn ist, der dich heute besucht, und nicht deine Exfrau.«
»Klar, aber mir wär’s lieber …«
In diesem Moment öffnete sich die Seitentür, und Kims aufgeregte Stimme war zu hören: »Das gibt’s nicht, das ist ja total krank! Ich meine, das ist so ziemlich das Schrägste, was ich je gehört habe!«
Mit breitem Lächeln trat Kyle als Erster in die Küche. »Hi Dad! Schön, dich zu sehen!«
Sie begrüßten sich mit einer unbeholfenen Umarmung.
»Freut mich ebenfalls, dich zu sehen, Junge. Ziemlich lange Fahrt hier raus auf dem Motorrad, oder?«
»Aber einfach fantastisch. Auf der Route 17 war nur leichter Verkehr, und die Straßen danach bis hierher sind ideal für eine Maschine. Wie findest du sie?«
»Mir ist noch nie so ein Prachtstück untergekommen.«
»Mir auch nicht. Ich liebe sie. Du hattest doch früher selbst eine, oder?«
»Allerdings nicht so einen heißen Ofen.«
»Hoffentlich bleibt sie möglichst lange so. Hab sie mir erst vor zwei Wochen auf der Classic Motorcycle Show in Atlantic City besorgt. Eigentlich wollte ich überhaupt nichts kaufen, doch dann konnte ich einfach nicht widerstehen. Eine unglaublich tolle Maschine – da kann nicht mal die von meinem Chef mithalten.«
»Dein Chef?«
»Ja, ich bin wieder an der Wall Street, so halb zumindest. Arbeite Teilzeit für ein paar Typen von der alten Firma, die dichtgemacht hat.«
»Und dein Studium an der Columbia University?«
»Geht natürlich weiter. Ziemlich heftig, das erste Jahr. Tonnenweise Lesestoff, um die Desinteressierten auszusieben. Ich hab so viel zu tun, dass ich schon halb durchdrehe. Na ja, was soll’s.«
Kim, die sich hinter ihm in die Küche schlängelte, schenkte Madeleine ein fröhliches Lächeln. »Danke noch mal für die Jacke. Hab sie draußen im Flur aufgehängt. Ist das in Ordnung?«
»Klar. Jetzt erzähl, denn ich sterbe vor Neugier.«
»Worauf?«
»Auf das Schrägste, was du je gehört hast.«
»Was? Oh, das habt ihr mitgekriegt? Kyle hat mir was beschrieben. Puh.« Sie sah ihn an. »Das darfst gern du erzählen. Ich kann es nicht mal aussprechen.«
»Das … äh … Es geht um eine bestimmte Störung, die manche Leute haben. Aber vielleicht ist das jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt. Das muss man nämlich genauer erklären. Später vielleicht?«
»Okay, ich frag nachher noch mal nach. Jetzt habt ihr mich erst so richtig neugierig gemacht. Möchtet ihr inzwischen was trinken oder eine Kleinigkeit essen? Käse, Cracker, Oliven, Obst?«
Kyle und Kim schauten sich an und schüttelten den Kopf.
»Für mich nicht.«
»Nein, danke.«
»Dann macht es euch einfach bequem.« Madeleine deutete auf die Sitzgruppe am anderen Ende des Raums. »Ich muss noch schnell ein paar Sachen fertig kochen. Essen gibt’s so gegen sechs.«
Kim fragte, ob sie irgendwas helfen konnte, und als Madeleine verneinte, entschuldigte sie sich und verschwand Richtung Toilette. Gurney und Kyle ließen sich inzwischen auf zwei Polstersesseln nieder, die sich um einen niedrigen Kirschholztisch vor dem Kamin gegenüberstanden.
»Also …«, begannen sie gleichzeitig und mussten lachen.
Gurney kam ein seltsamer Gedanke. Abgesehen davon, dass Kyle den Mund und das pechschwarze Haar seiner Mutter hatte, war es, als würde Gurney in einem magischen Spiegel ein Bild seiner selbst erblicken – nicht das gegenwärtige, sondern das sorgsam restaurierte des zwanzig Jahre jüngeren David.
»Du zuerst«, sagte Gurney.
Kyle grinste. Mit dem Mund seiner Mutter, aber den Zähnen seines Vaters. »Kim hat mir von dieser Fernsehsache erzählt, an der du beteiligt bist.«
»Mit der TV -Geschichte hab ich eigentlich gar nichts zu tun. Offen gestanden ist mir das auch lieber.«
»Was für einen anderen Aspekt gibt es noch?«
So eine einfache Frage , dachte Gurney, während er versuchte, eine einfache Antwort darauf zu finden. »Den Fall an sich wahrscheinlich.«
»Die Hirten-Morde?«
»Die Morde, die Opfer, die Spuren, die Vorgehensweise, die im Manifest gelieferte Begründung, der Ermittlungsansatz.«
Kyle wirkte erstaunt. »Hast du da irgendwelche Zweifel?«
»Zweifel? Keine Ahnung. Ich würde es
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