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Gute Nacht Zuckerpüppchen

Gute Nacht Zuckerpüppchen

Titel: Gute Nacht Zuckerpüppchen
Autoren: Heide Glade-Hassenmüller
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ausgerufen und war aufgesprungen. Er kniete vor ihrem Bett und küßte überschwenglich ihre Hände, seine eine Hand glitt unter ihre Bettdecke, um sie zu streicheln.
    »Nein«, sagte Gaby, »bitte nicht. Mit tut alles weh, ich blute. Aber ab nächste Woche. Dann kannst du einen Tag bestimmen.«
    Pappi zog langsam seine Hand zurück, seine wasserblauen Augen gierten: »Zwei Tage!«
    Gaby nickte. »Zweimal, gut, aber dazwischen nichts, wirklich nichts.«

    Erst befürchtete sie, daß Pappi sich nicht an seine Absprache halten würde, aber er tat sein Bestes. Wenn er gewohnheitsmäßig im Vorbeigehen ihre Brust tätschelte und sie zurückwich, sagte er: »Natürlich, pardon, noch zwei Tage bis Ultimo.«
    Und Ultimo war auszuhalten. Sie legte sich hin, schloß die Augen und öffnete die Beine. Sie dachte an fächelnden Wind und schmeckte Seeluft, hörte Möwen kreischen. Pappi war immer sehr aufgeregt, und es kam vor, daß er schon fertig war, bevor er angefangen hatte. Dann lachte er verlegen: »Du regst mich so unwahrscheinlich auf, Zuckerpüppchen, das ist mir noch bei keiner passiert!«
    Gaby stand dann sofort auf, zog ihren Schlüpfer wieder an und sagte: »Aber es gilt trotzdem.«
    Pappi strich sein Oberhemd glatt, schloß seinen Hosenstall und bestätigte: »Natürlich, ein Mann — ein Wort. Bis Montag abend.«

    Natürlich hatte sie nicht immer so viel Glück, aber es dauerte nie länger als eine Viertelstunde. Eine Viertelstunde konnte lang sein. Trotz Seeluft. Ganz tief mit dem Bauch atmen half auch, dabei an Schäfchen denken, kleine, weiße Schäfchen, die blökend über eine Wiese sprangen; goldene Glöckchen bimmelten um ihre Hälse und seidige Felle schimmerten in der Sonne. Ganz intensiv mußte man daran denken, an das Blöken, das Bimmeln und das Schimmern. Dann war Gaby bei ihnen auf der Wiese; nichts konnte ihr wirklich passieren.

    Später dachte Gaby oft, daß diese Zeit die beste war, die Zeit, in der sie sich mit Pappi arrangiert hatte und sozusagen Waffenstillstand herrschte. Beide wußten, daß man vorsichtig sein mußte, damit die Ruhe nicht zerstört wurde.
    Es war wie nach dem Krieg. Alle waren froh, daß keine Bomben mehr fielen, der tägliche Kampf ums Leben war vorbei.
    »Es ist Frieden«, wiederholte Gaby damals die Worte der Erwachsenen. Achim hatte sie verbessert: »Es ist nur Waffenstillstand. Wenn einer etwas tut, das gegen die Abmachungen ist, geht es wieder los. Dann wird wieder gekämpft.«
    Die ersten Monate hatte Gaby damals Angst gehabt, einer könnte sich nicht an die Absprachen halten. Aber mit der Zeit schlief die Angst ein.
    So war es jetzt mit Pappis Abkommen. Es war eine verhältnismäßig ruhige Zeit. Vor dem, was sie nun kannte, hatte sie nicht mehr solche Angst. Es war eklig und widerwärtig, aber es war zu ertragen, es war faßbar.
    Ihre Angst schlummerte zugedeckt mit Geschenken, guter Stimmung und Muttis Wohlwollen.
    Es ist meine eigene Schuld, dachte Gaby später, ich habe die Abmachungen nicht eingehalten.
    Anne fragte in der Pause: »Hast du Lust, in unseren Tischtennisverein zu kommen? Wir brauchen noch jemand für die Damen-Junioren-Mannschaft.«
    Gaby fühlte, daß sie rot wurde. Endlich fragte man sie. Jeden Montag sprach die Gruppe vom TC-Altona von nichts anderem als von Auswärtsspielen, Verlängerungen, Schmetterbällen. Jetzt durfte sie mitmachen. Tischtennis spielen konnte sie. Die Grundbegriffe hatte ihr Achim im Hof auf einer verbogenen Tischtennisplatte beigebracht, und in der Turnstunde gewann sie sogar gegen Mitglieder des TC-Altona.
    »Ich habe mich für dich eingesetzt«, sagte Anne. »Wir stimmen nämlich immer ab, wenn eine Neue aufgenommen werden soll.«
    »Danke«, sagte Gaby.

    Mit Anne zusammen ging sie zum ersten Trainingsabend. In der Umkleidekabine zogen sie sich die Sportsachen an. Ein undefinierbarer Geruch von Staub und Schweiß flimmerte in der langgestreckten Turnhalle. Die beiden Mädchen blieben stehen und sahen sich um.
    Ein junger Mann kam auf sie zu: »Hallo, Anne, das ist wahrscheinlich Gaby?« Er gab ihr die Hand. »Ich heiße Horst Baum. Du bist die Gaby Mangold?«
    Sie nickte. Es hatte ihr einen Moment die Sprache verschlagen. Der sah ja toll aus, groß, blonde Locken und treuherzige, braune Dackelaugen.
    »Ich bin euer Trainer«, fuhr Horst fort. »Wollen wir gleich einmal sehen, was du kannst? Anne hat dich in den höchsten Tönen gelobt. Dahinten wird gerade eine Platte frei.«
    Gaby folgte ihm ein wenig benommen.
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