Guten Abend, Gute Nacht
das eine Rolle?«
»Wahrscheinlich nicht. Trotzdem würde ich mir ganz gerne seine Sachen ansehen.«
»Sicher. Wenn sie ihm nicht schaden konnten, können sie ihm vielleicht helfen.«
Sie führte mich eine sorgfältig gebohnerte Holztreppe hinauf. Den Stufen hätte allerdings ein neuer Anstrich nicht geschadet, und genausowenig hätte es geschadet, wenn der graue Läufer ersetzt worden wäre. Am Kopfende der Treppe gingen wir nach rechts, und sie öffnete eine Tür. »Das ist Williams Zimmer. Soll ich bleiben oder möchten Sie lieber allein sein?«
»Bitte bleiben Sie.«
Sie setzte sich auf einen wackligen Schreibtischstuhl vor einem billigen Metallschreibtisch mit einer alten, ramponierten Royal-Reiseschreibmaschine darauf. Neben dem Schreibtisch standen eine Kommode und ein Schrank. Vor einer zweiten Wand unter einem Fenster, aus dem man auf den kleinen Garten hinter dem Haus schauen konnte, stand ein einfaches Doppelbett. Ein paar Bücherregale lehnten gefährlich schief an einer dritten Wand, weniger weil sie schlecht konstruiert, als vielmehr weil sie chronisch überlastet waren.
»William hat eine Menge Bücher.«
»Oh, ja, er liest... liest sehr viel. Das Gefängnis, ich darf ihm Bücher bringen, aber er wollte sie nicht.«
Auf den Regalen befanden sich praktisch ausschließlich Taschenbücher, von denen viele aussahen, als hätte er sie gebraucht gekauft. Ein paar Bestseller, Kriminalromane und Science Fiction, aber in der großen Mehrzahl Bücher fürs College: Lyrik, Psychologie, Geschichte, Politische Wissenschaft und so weiter. Eine bemerkenswert umfassende Privatbibliothek.
Ich trat vor den Schreibtisch. Mrs. Daniels ging zum Bett. Ich ging die Papiere auf seinem Schreibtisch durch, anscheinend maschinengetippte Entwürfe von Arbeiten fürs College. Nacheinander öffnete ich jede der drei Schubladen. Schreibpapier, Stifte, Radiergummi, Baseball-Karten, Münzen, Zeitungsartikel, Zeugnisse, Klassenfotos und der übliche Kram, der sich in Schreibtischen von Schülern und Studenten immer ansammelt.
»Mrs. Daniels, hatte William irgendein Versteck, einen Platz, an dem er Dinge verstaute, von denen er nicht wollte, daß andere sie zu sehen bekamen?«
Sie schaute sich in dem Zimmer um, schüttelte dann ihren Kopf. »Wenn er eines hatte, dann weiß ich nichts davon.«
Auf der Kommode ein gerahmtes Foto von einem jüngeren William, der neben Mrs. Daniels stand. William trug eine Kappe und einen Talar, in seiner gereckten Faust umklammerte er ein Diplom. Strahlendes Lächeln auf den Gesichtern von Mutter und Sohn.
»Das High School-Examen«, sagte sie. »Das scheint schon eine Ewigkeit her zu sein.«
Ich zog den Schreibtisch von der Wand zurück. Nichts dahinter geklebt. Ich zog alle Schubladen heraus. Nichts. Sah unter dem Schreibtisch nach. Nichts. In Kommode und Bett. Nichts. Dann im Schrank, sah zwischen und unter Schuhen, einem Baseballhandschuh, einem Plastik-Football, der kaum noch Luft hatte und diversen anderen Gegenständen nach. Nichts. Dann, unter einen Stapel von drei billigen Pullovern auf dem obersten Brett, fand ich einen Kassettenrecorder. Er sah zwar aus wie einer dieser billigen Ghettoblaster, war aber technisch besser, besaß ein eingebautes Mikrophon und einen Mechanismus, durch den man eine Aufnahme mit der Stimme auslösen konnte. Ich nahm das Gerät herunter und untersuchte es. Eine Kassette steckte drin.
»Das hat William von dem Mädchen. Ein Weihnachtsgeschenk. Er hat sich geschämt, weil er für sie nur eine kleine Flasche Parfüm hatte, für die er drei Wochen auf sein Mittagessen verzichten mußte, um sie ihr kaufen zu können.«
Ich nahm das Tonband heraus. Auf dem Etikett stand: UNVERKÄUFLICHE DEMONSTRATIONS-KASSETTE. Auf beide Seiten war ein unbeholfen klingender englischer Titel und danach in Klammern der Name eines japanischen Musikers geschrieben worden.
»Hat William viele Kassetten?«
»Nein. Ich meine, ich habe nie gesehen, daß er das Ding überhaupt benutzt hat. Ich glaube, es hat ihn immer daran erinnert, daß er sich nicht leisten konnte, ihr etwas genau so Schönes zu schenken.«
Ich schob die Kassette wieder in das Gerät und drückte den Play-Knopf. Nachdem zunächst nur Rauschen zu hören war, setzte Lauten- und Mandolinenmusik ein. Als ich das Gerät schon wieder abschalten wollte, kam, sehr leise, Williams Stimme.
»Donnerstag, elfter März, halb zwölf abends.« Das war sechs Wochen vor dem Mord an Jennifer. Nachdem er »abends« gesagt hatte,
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