Guten Morgen, Tel Aviv
ich keinen Schimmer warum.
In Israel ist man zum Glück sehr flexibel, was die Berufswahl angeht. Die dreijährige Berufsausbildung, wie sie in Deutschland üblich ist, gibt es ja sowieso kaum irgendwo auf der Welt. In Israel scheinen die Leute außerdem ihre Berufe häufig zu wechseln. Ein gutes Beispiel dafür sind die örtlichen Supermarktkassierer. In Deutschland hat sich ja eine Art »Waren über den Scanner ziehen«-Wettrennen etabliert. Die Damen und Herren bei Lidl zum Beispiel schaffen circa 40 Produkte pro Minute, las ich neulich.
In meiner »Schufersal«-Filiale hier um die Ecke ist das nicht so. Vielleicht haben die Kassierer dort vorher als Buchhändler gearbeitet. Oder Yogalehrer. Auf jeden Fall haben sie etwas gemacht, das sehr viel Ruhe und Bedacht erfordert. Denn während deutsche Kassierer wie Wieselchen oder Ameisen oder noch besser Bienchen auf ihrem Kassenstuhl herumflattern, ähneln die Israelis eher den Tapiren. Sie erheben sich schwerfällig, wenn mal ein Preis nicht richtig angebracht oder das Kleingeld alle ist, und schleppen sich dann ganz langsam quer durch den Markt, um Preis oder Wechselgeld zu besorgen.
Ich spiele da nicht mit! Bei jedem Supermarktbesuch tänzle ich nervös vor der Kasse herum. Manchmal frage ich auch direkt und ohne Umschweife, ob es bitte etwas schneller geht. Das hält die oder den Kassierer aber nicht davon ab, mir am Ende noch alle 130 Sonderangebote ganz in Ruhe vorzutragen. Da ich ein sehr hektischer Mensch bin, stehe ich deswegen bei jedem Einkauf kurz vorm Schlaganfall. Doch das ist noch nicht alles.
Auch der Elektriker, den wir neulich im Haus hatten, muss in seinem früheren Leben in Moldawien etwas anderes gemacht haben. Denn als auf der Straße ein kleiner Autounfall passierte, rannte er geradewegs mit Bohrer bewaffnet die Treppen runter und schraubte die abgefahrene Frontverkleidung mit gekonnten Handgriffen schnell wieder an. Dann erklärte er uns, wir wären gar nicht geerdet gewesen. Wahrscheinlich war der vorherige Elektriker Klempner. Noch immer funktioniert die Hälfte unserer Steckdosen nicht. Unprofessionalität ist keine Seltenheit hier.
Die Israelis nennen das übrigens Improvisationskunst. Aber de facto heißt es, dass viele Menschen einfach keine Ahnung von dem haben, was sie tun. Meine Apothekerin zum Beispiel war früher mal Friseuse. Jedes Mal, wenn ich zu ihr komme, kann sie mir zwar nicht sagen, was gegen dies oder jenes hilft, aber immer bietet sie mir ein neues Haarpflegemittel an.
Und nun hatte also auch ich eine neue, Erfolg versprechende Karriere als versierte Fußballexpertin vor mir. Dazu kam es, weil ich eine Kolumne für eine israelische Zeitung schrieb. In der ging es zwar eher darum, dass viele israelische Männer die deutsche Fußballmannschaft nicht mögen und erst durch die Liebe einer deutschen Frau zum Äußersten getrieben werden können. Aber offensichtlich wurde diese Analyse als Fußballexpertise missverstanden, sodass ich plötzlich verschiedenen Radiosendern Interviews geben sollte. Meist bat man mich um Tipps, wie das nächste Spiel der Deutschen ausgeht und welcher Spieler wohl am besten spielen wird. Und so wurde aus Carrie Bradshaw ganz fix Günter Netzer.
Als ich im Zenit meines Erfolges stand, machte ich dann den entscheidenden Fehler. Vor dem Halbfinalspiel Deutschland gegen Spanien frage der israelische Moderator mich, wie denn die Deutschen im Fußballstadion jubeln. Ich überlegte kurz und brüllte dann ins Mikro: »Olé, Olé, Olé, Olé.« Das war Spanisch, und der Moderator stutzte. Ich war enttarnt. Eine deutsche Fußballexpertin, die spanische Lieder singt. Da konnte ja was nicht stimmen. Am Ende hat die deutsche Mannschaft gegen die Spanier verloren. Es war wohl meine Schuld. Zum Glück rief mich kurz danach der israelische Flamencoverein an. Sie fragten, ob ich ihr neues Maskottchen werden wollte. Ich sagte sofort zu.
Der israelische Informalismus
Meine israelische Bankfachberaterin nannte mich neulich Süße. Ich kenne diese Dame kaum. Ich war vielleicht ein-, zweimal in der Bank. Einmal, um mein Konto zu eröffnen, und das zweite Mal, um Dinge zu unterschreiben, die ich nur zur Hälfte verstand. Dass sie mich trotzdem mit einem Kosenamen ansprach, hat nichts zu bedeuten. So sind die Israelis.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ehemaligen Kollegen J. Der notorische Neurotiker kam eines Morgens völlig aufgelöst in das Korrespondentenbüro und schrie: »Ich habe meinen Bruder gefunden!«
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