Guten Morgen, Tel Aviv
und war fast glücklich und zufrieden. Dann, mit der feucht-schwülen Hitze, kam die Sehnsucht nach dem deutschen Sommer. Als mir aus heiterem Himmel auch noch Kinderlieder einfielen, wusste ich, etwas kann nicht stimmen. »Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit.« Und ich? Hatte Heimweh. Ich vermisste mein Zuhause. Mir fehlten die Ostseeluft, die grünen Wiesen und sogar das schnodderige Berlin. Und vor allem fehlten mir die Menschen, die mich länger als sechs Monate kannten.
Heimweh. Die Sehnsucht in der Fremde, wieder daheim zu sein. Ein diffuses, duselig machendes Gefühl, das ich so nicht kannte. Flughäfen zum Beispiel habe ich immer geliebt, weil sie mich in die Ferne trugen. Weil sie das aufregende Gefühl, an einen neuen Ort zu kommen, repräsentierten. Ich fand es toll, nicht zu wissen, was mich am Ziel erwartet. Doch das war einmal. Heute stehe ich tränenüberströmt in großen Hallen, weil wieder jemand abfährt, den ich liebe, oder ich selbst wegmuss.
Das erste Mal, als ich dieses Gefühl aussprach, war auf der Allenby in Tel Aviv. Das ist ohne Zweifel die hässlichste Straße der Stadt, und mein wunderbarer Lebensfreund und ich suchten, bepackt mit einer Mikrowelle, ein Taxi. Als endlich eins anhielt, nahm der Gefühlsausbruch seinen Lauf: In der Sekunde, als ich die Tür aufmachen und die Mikrowelle einladen wollte, fuhr der Taxi-Derwisch einfach wieder los. Er hatte wohl doch keine Lust mehr, uns zu transportieren, als er die Kiste sah. Ein solches Verhalten mag verstörend sein, ist aber in Israel keine Seltenheit. Taxifahrer sind die furchtbarsten Menschen hier. Sie fragen einen immer zuerst, wo man hinwill, und wenn es nicht auf ihrem Weg liegt, brausen sie mit quietschenden Reifen wieder davon. Außerdem nehmen sie jedem ständig die Vorfahrt oder hupen Fahrradfahrer wie mich von der Straße.
Ich also auf der Allenby. Ohne Taxi. Aber mit Mikrowelle. Schreiend. »Ich will nach Hause. Ich will sofort nach Hause. Und ich meine nicht hier, ich meine mein richtiges Zuhause. Ich will nach Deutschland. Jetzt. Sofort. Dahin, wo Taxifahrer es als ihren Job verstehen, Leute zu transportieren.« Mein Mann neben mir, völlig überfordert. »Was? Wo kommt das denn jetzt her?«
Ich sage, man weiß ja nie genau, wo die Gefühle so herkommen. Meine stelle ich mir als eine Gruppe von gut gekleideten Soldaten vor, die in konspirativen Konferenzen berät, wo sie als Nächstes angreift. Schon in meinen Schulzeugnissen war die Rede davon, dass ich sehr impulsiv und emotional bin. Niemand weiß von der Gefühlsarmee in mir, aber einige ahnen es. Armeen marschieren. So wie Spielmannszüge auch. In Israel gibt es nur einen Spielmannzug – den der Armee. Und so kommt zusammen, was zusammen gehört.
Als ich dann also endlich auf Heimaturlaub war, liefen mir die Spielleute vom Alexanderplatz vor die Füße. Und all das diffuse Gefühl manifestierte sich in einem konkreten Gedankengang: Spielmannszüge sind Symbole der deutschen Kultur. Ich habe im Spielmannszug Querflöte gespielt, mein Opa auch. Also bin ich deutscher als gedacht. Meine Kinder hingegen werden mich wohl dafür auslachen. Und wenn sie in Israel aufwachsen, werden sie vieles von dem, was ich tue, nicht verstehen. Anders als ich werden sie zu spät kommen und an feucht-schwüle Hitze gewöhnt sein. Deutschland werden sie ein bisschen komisch finden. Da ist alles so grün und ordentlich, werden sie sagen.
Viele Israelis behaupten, dass Deutsche extrem sind. Und total. Total pünktlich, total ordentlich, und wenn sie in eine Diktatur abdriften, dann aber richtig. Vielleicht funktioniert so auch deutsches Heimweh. Es geht nicht nur um Ostseeluft und grüne Wälder. Es geht ums große Ganze. Bevor ich nach Israel kam, war mir nicht einmal klar, wie deutsch ich bin. Jetzt habe ich Angst, dass ich mich wegassimiliere. Und dass meine Kinder nichts von meinem kulturellen Erbe mitbekommen. Veränderung im großen Stil war mir schon immer ein Graus. Deswegen hilft nur eins: Die Kinder müssen in den Spielmannszug. Und wahrscheinlich werde ich sie Siegfried und Kriemhild nennen.
Die Empfehlung
Wenn Israelis im Restaurant essen gehen, schauen sie nur kurz auf die Speisekarte. Lieber fragen sie Kellnerin oder Kellner, was denn gut sei. Was ist empfehlenswert? Gibt es ein Menü-Angebot? Soll ich Spaghetti oder Quiche nehmen? Schokokuchen oder Tiramisu? Erbsen oder Bohnen? Ich finde das ungewöhnlich. Da, wo ich herkomme, guckt man auf die Karte und
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