Guten Morgen, Tel Aviv
Fenster direkt über dem Waschbecken hervorragend hereinlugen konnten, gab es weder Gardinen noch Jalousien. Darauf angesprochen, meinte meine Mutter: »Ja, wer soll denn da gucken?« Hier offenbart sich ein wesentlicher Kulturunterschied. Wenn ich nur mal kurz von der Dusche ins Schlafzimmer husche, würde mein wunderbarer Lebensgefährte am liebsten mit einem mobilen Sichtschutz neben mir herlaufen. Niemand in seiner Familie findet es komisch, am helllichten Tag mit heruntergelassenen Rollläden und künstlichem Deckenlicht im Wohnzimmer zu sitzen. Und deswegen gibt es auch keine Gärten!
Natürlich ist es circa drei Monate im Jahr so entsetzlich warm in Israel, dass man eigentlich nur vor der Klimaanlage liegen möchte. Aber auch in Deutschland kann man ja den Garten mindestens vier Monate lang rein gar nicht benutzen. Es muss also noch etwas anderes dahinterstecken. Ich glaube, Israelis verbarrikadieren sich gerne. Sie finden es ganz angenehm, mal nicht sehen zu müssen, was draußen los ist. Aus dem gleichen Grund haben sie kein Interesse am Leben ihrer Nachbarn in Gaza, Libanon, Ägypten oder im Westjordanland. Und aus dem gleichen Grund findet in den israelischen Nachrichten kaum Berichterstattung aus anderen Ländern statt: Die Israelis haben genug mit sich selbst zu tun.
Ich glaube, ich nehme dieses Desinteresse langsam an. In Deutschland habe ich mich noch gerne und leidenschaftlich mit Politik im Allgemeinen und Nahostpolitik im Besonderen beschäftigt. Hier in Israel ist Politik so allgegenwärtig, so übermächtig, so frustrierend, dass mein Interesse dafür gen null tendiert. Bewusst wurde mir das, als ein befreundeter Journalist nach Israel kam und in zwei Monaten mehr in Gaza und der Westbank war als ich auf dem Tel Aviver Markt. Er konnte nicht verstehen, dass ich und all die Israelis um mich herum nicht darauf brannten zu sehen, wie es hinter der Mauer ist.
Vielleicht kann man nur dann an den vermeintlich Schwächeren interessiert sein, wenn man sich nicht selbst wie der Schwächere fühlt. Deswegen sind die meisten Engagierten in den palästinensischen Autonomiegebieten Europäer und Amerikaner. Israelis aber fühlen sich schwach, von der Welt missverstanden und ungerecht behandelt. Sie haben die Angst vor einem neuen Holocaust mit der Muttermilch aufgesogen. Außerdem leben sie in einem vergleichsweise jungen Land, das sich immer noch finden muss. So ist aus ihnen ein Volk der Egozentriker geworden. Das sich hinter Rollläden und Häuserwänden verschanzt.
Deutsche Kleingartenbesitzer lieben ja angeblich ihre kleine umzäunte Freiheit. Ich glaube, Israel könnte ihnen gefallen.
Der Philosemiten-Bus
»Wir müssen aber aufpassen, nicht unter den Philosemiten-Bus zu kommen«, diesen gut gemeinten Ratschlag gab mir neulich eine Deutsche, die in Israel lebt. Der Philosemiten-Bus. Ich weiß nicht genau, wo er abfährt, aber mir scheint, er hat mittlerweile eine größere Bedeutung als der Antisemiten-Bus. Hurra. Die Deutschen müssen keine Angst mehr vor Antisemiten haben. Denn die wahre neue Bedrohung, das sind die Philosemiten. In einem Punkt aber hat sie recht, die Deutschen in Israel sind entweder – oder. Die meisten »angeheirateten« Neu-Israelis sind israelkritisch (um es mal vorsichtig zu formulieren). Die meisten jüdischen Neu-Israelis sind israelverliebt und damit ziemlich unkritisch. In jeder Gruppe gibt es dann natürlich kleine Splittergruppen, die inhaltlich der Gegengemeinschaft zugezählt werden können. Wenn man zum Beispiel als nicht jüdischer Deutscher auch mal proisraelisch ist, wird man direkt des Philosemitismus verdächtigt. Oder hämisch gefragt, ob man an einem Initiationsritual teilnimmt, um ein »guter Israeli« zu werden.
Ich weiß nicht, was ein guter Israeli ist. Aber immer deutlicher wird mir, was ein guter Deutscher ist. Ein guter Deutscher kritisiert Israel. Natürlich als Freund. Ein guter Deutscher legt Wert darauf, dass die Berichterstattung über Israel differenziert vonstattengeht, natürlich nur dann, wenn sie Gefahr läuft, zu proisraelisch zu sein. Ein guter Deutscher spricht unangenehme Wahrheiten aus, aber hat natürlich auch jüdische und israelische Freunde. Ein guter Deutscher hat sich exzessiv mit den Gräueltaten des Holocaust auseinandergesetzt und daraus gelernt. Kurzum: Ein guter Deutscher weiß es besser.
Es gibt auch nationenübergreifend zwei Gruppen von Menschen, die ins Heilige Land ziehen. Die einen kommen, weil sie wollen. Weil sie
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