Guten Morgen, Tel Aviv
das Land lieben, weil sie Juden und/oder Zionisten sind oder weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen. Die anderen kommen, weil sie sich in eine Israelin/einen Israeli verliebt haben. Letztere verbindet etwas völlig anderes mit Israel als Erstere. Daher ist es nur normal, dass die politischen Meinungen auseinanderdriften. Wenn sie dann einmal aufeinandertreffen, zeigt sich der wahre Nahostkonflikt.
So geschehen in meinem Sprachkurs vor einigen Tagen. Auch dieser setzt sich ziemlich genau aus diesen zwei Gruppen zusammen. Nennen wir sie die »Verwandten Israels« und die »Angeheirateten«. Die Verwandten Israels lassen kein gutes Haar an den Palästinensern oder Arabern im großen Ganzen. Die wollten nämlich nur Schlechtes. Am liebsten ein Großpalästina und die Vernichtung Israels. Deswegen müsse man den Pallis auch nicht unbedingt einen Staat geben, denn damit würde sich nur die eigene Sicherheitslage verschlechtern. Die Angeheirateten wettern dagegen. Israel sei ein Apartheidstaat. (Übrigens: Googlen Sie mal das Wort Apartheidstaat, das erste Ergebnis weist auf Südafrika hin, das zweite bereits auf Israel, und das dritte, fünfte, sechste, achte, neunte … auch.) Die Israelis seien die Aggressoren. Israel ist selbst daran schuld, wenn es angegriffen wird, denn immerhin bauen sie weiter munter Siedlungen und haben es nicht anders verdient.
Das Interessante ist, dass in beiden Meinungen etwas Wahres steckt. Doch beide Parteien können das jeweils Wahre der anderen nicht sehen. Und das ist er, der wahre Nahostkonflikt. Die unsägliche Schwarz-Weiß-Malerei. Ich nehme mich da selbst nicht aus. Leider habe ich auch noch nie einen anderen Deutschen getroffen (und schon gar nicht unter den Journalisten), der wirklich ausgeglichen ist, wenn es um Israel geht. Jemanden der versteht, dass es nicht entweder – oder ist. Weil es nicht sein kann. Weil die Realität zu komplex ist. Die Deutschen, die ich treffe, warnen mich stattdessen vor Philosemiten-Bussen. Als hätte ich nicht schon genug mit dem komplizierten Nahverkehrssystem von Tel Aviv zu tun.
Die Sozialen
Eine aktuelle Untersuchung hat herausgefunden, dass man in Tel Avivs führenden Restaurants sein eigenes Wort nicht versteht. Das ist natürlich wahnsinnig überraschend. Die Zeitung Haaretz erklärt das Bekannte: »Viele Restaurants haben keine gute Akustik. Wenn wir dann noch den grundsätzlichen Mangel an Höflichkeit der Israelis, das Schrillen der Handys, die Vielzahl der Kinder und das typische israelische Lärmverhalten dazunehmen, ist klar, warum es sehr schwierig ist, ein intimes Essen zu genießen.«
Viel interessanter ist es jedoch zu fragen, wie es sein kann, dass Tel Avivs führende Restaurants, ungefähr auf dem gleichen Preislevel wie die Berliner Nobelschuppen »Borchardt« und »Grill Royal«, überhaupt ständig so voll sein können. Und nicht nur die. Wenn man abends oder samstagvormittags durch die Straßen in Tel Avivs hippen Vierteln streift, hat man das Gefühl, niemand isst noch zu Hause. Eine seltsame Entwicklung, werkeln doch israelische Mütter besonders am Wochenende stundenlang in den heimischen Küchen herum. In meiner Schwiegerfamilie stehen die Frauen Freitag und Samstag vor allem am Herd und rollen Fleischbällchen oder zaubern bunte Salate.
Diese Liebe zum Selbstgekochten scheint zumindest in Tel Aviv die nachfolgende Generation zu überspringen. Ich kenne kaum eine israelische Frau in meinem Alter, die kochen kann. Im Gegenteil, die Einzige, die in meinem Freundeskreis zu kochen scheint, bin ich. Was ist da los? Tel Avivis, wie viele Großstadtmenschen dieser Welt, gehen gerne aus. Zum Essen, Trinken und Feiern. Als ich neulich einen Schweizer Studenten fragte, warum er ausgerechnet in Israel studieren wollte (obwohl nicht jüdisch), sagte er mir, das Nachtleben sei schuld. Das sei so einzigartig, dass er nach seinem Besuch als Tourist unbedingt für längere Zeit wiederkommen wollte. Party-Vermarkter nennen ihre Stadt »the city that never stopps«. New York schläft nicht, Tel Aviv aber hört niemals auf. Der Druck ist hoch. Zeit zum Kochen bleibt da nicht.
Damit man dem unglaublichen Ruf gerecht werden kann, hat man in beliebten Gegenden der Stadt an jede Ecke eine Bar, ein Café, ein Restaurant (manche sind 24 Stunden lang geöffnet) oder einen Club gepflanzt. Der Hafen im Norden von Tel Aviv wurde gleich komplett zur Ausgehmeile umfunktioniert. Allein das riesige Portfolio an Wörtern in der schönen
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