Guten Morgen, Tel Aviv
versuchte, gute Stimmung zu verbreiten. Lange fiel es mir sehr schwer, auch nur orientalische Musik zu hören. Einige Zeit versuchte ich, die Bauchtanzphobie zu neutralisieren, indem ich rund um die Uhr Sirtaki tanzte. Es half nichts. Nun muss man ja sagen, dass einem in Mecklenburg-Vorpommern wenig orientalisches Kulturgut begegnet. Und in Berlin habe ich im Wesentlichen einfach Neukölln und Kreuzberg gemieden. Sobald ich irgendwo Oud (arabische Kurzhalslaute), Darbuka (Trommel) oder Rebab (orientalisches Streichinstrument) dudeln höre, bin ich weg. In meinem bisherigen Leben konnte ich diesen Bedrohungen immer ganz gut aus dem Weg gehen.
Jetzt lebe ich in Israel. Die Israelis sehen sich ja gerne als westlich-amerikanisch oder auch mal westlich-europäisch. In jedem Fall versuchen sie oft krampfhaft, sich von ihren nahöstlichen Nachbarn abzugrenzen. Aber eins geben sie nicht auf: Sie lieben orientalische Musik. Und orientalische Gesänge. Und ja – auch orientalische Tänze. Allein in meinem ersten Jahr, in dem ich in Israel lebte, musste ich zu mindestens zehn Veranstaltungen, auf denen laut Arabeske dröhnte und Frauen gefährlich mit ihren Fettpölsterchen über die Tanzfläche schaukelten. Die meisten Israelis lieben das. Immerhin sind nicht wenige aus orientalischen Ländern wie Ägypten, Tunesien, Marokko, Iran, Irak oder Jemen eingewandert. Das erklärt auch, warum bei festlichen Events meiner halb irakischen Schwiegerfamilie das exzessive Kulululu betrieben wird. Kulululu nennt man in Israel die gurgelnden, zungenschlagenden Freudelaute, die direkt aus der arabischen Hochkultur in die pseudowestliche israelische Gesellschaft übernommen wurden.
Sie können sich vorstellen, dass mir das alles nicht wirklich hilft. Ständig sehe ich mich mit Bauchtänzern konfrontiert. Mein wunderbarer Lebensgefährte selbst nutzt jede Chance, um wie ein Adler seine Flügel, äh, Arme auszubreiten und zackig das Bauchfleisch von rechts nach links zu drehen. Für mich wird es in diesen Momenten sehr einsam am Rand der Tanzfläche. Und dabei sieht es aus, als würden alle so viel Spaß dabei haben. Mehr und mehr steigt der innere Druck, mitzumachen. Dazuzugehören. Auch Spaß zu haben.
Vor zwei Wochen dann geriet ich ungewollt in eine intensive Konfrontationstherapie. Ich war zum ersten Mal auf einer sogenannten Henna. Das marokkanische Äquivalent zum deutschen Polterabend. Der Bräutigam sah aus wie ein persischer Prinz, die Braut wurde fantasievoll mit Henna bemalt. Ein libanesisch-israelischer Sänger heizte den Gästen, begleitet von Oud, Rebab und Darbuka, ein. Mir war zum Davonlaufen. Aber das Essen war zu gut – so israelisch bin ich schon geworden. Höhepunkt des Abends war, dass alle Gäste sich in eine Art marokkanische Volkstracht kleiden sollten. In mir kam Panik auf. Das konnte doch nur … alles wies auf Bauchtanz hin. Langsam quälte ich mich in die goldbestickte Tunika. Die Trommel klopfte bedrohlich aus dem Hauptsaal. Jemand packte mir eine Art geflochtenen Stoff-Kronen-Kranz auf den Kopf. Ich hörte die Laute gefährlich leiern. Ich sah nicht ansatzweise marokkanisch aus. Dank meiner langen blonden Haare hatte ich eher was von einem amerikanischen Hippie. Es funktionierte trotzdem.
Ich durchlief die Konfrontationstherapie. Fühlte mich zurückversetzt in die Neunziger. Um ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten, muss man es noch einmal so durchleben, wie es passiert ist, heißt es ja. Die Bauchtänzerin schwabbelte wie damals auf mich zu. Dieses Mal jedoch trug ich die marokkanische Tracht und keine neongelben Radlerhosen. Die Verwandlung half mir. Ich war vorbereitet. Plötzlich bewegte sich mein Bauch im orientalischen Takt. Auch meine Hüften kamen langsam in Schwung. Ich wedelte meine Tunika schwungvoll über die Tanzfläche. Und da! Meine Arme öffneten sich wie die eines Adlers zum Flug. Ich war frei. Ich war glücklich. Ich war geheilt. Ich war eine Bauchtänzerin. Nichts konnte mich jetzt noch stoppen.
Tel Aviv I: Vom Habima bis Ajami – Im Geschwindigkeitsrausch durch eine wilde Stadt
Tel Aviv-Jaffa ist eine kleine Stadt. Sie hat ungefähr 390000 Einwohner, die sich auf 50 Quadratkilometern drängen. Damit hat Tel Aviv nur ein wenig mehr Bewohner als Wuppertal. Und das erstreckt sich immerhin auf 170 Quadratkilometern Bergischem Land. Tel Aviv hat also platztechnisch tatsächlich Ähnlichkeit mit Manhattan. Oder Monaco. Es ist unglaublich voll in der Stadt. Gerade wenn man aus Berlin
Weitere Kostenlose Bücher