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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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schon immer gewundert, warum Israelis nichts peinlich ist. Jetzt weiß ich es. Israelis sind so, wie sie sind. Sie tun, was sie wollen. Und sie sind stolz darauf.
    Ich erinnere mich noch gut, wie meine Schwiegermutter in spe im Rathaus-Center am Berliner Alexanderplatz Fredi Bobic entdeckte. Warum sie ihn erkannte, ist mir bis heute ein Rätsel, aber zielstrebig steuerte sie auf den ehemaligen Fußballstar zu und verwickelte ihn in ein intensives halb englisches, halb Hand- und Fuß-Gespräch. Sie erzählte von ihrem Schwiegersohn, der Fußballagent sei, und seinem Bruder, der mal bei Liverpool gespielt hat. Bobic guckte irritiert. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, weil mir die israelische Direktheit unangenehm war. Ich würde nie einen Promi ansprechen. Es wäre mir peinlich. Stattdessen verstelle ich mich lieber und tue so, als ob ich ihn oder sie nicht erkenne. Einmal habe ich wissentlich mit einem bekannten deutschen Sänger in einem Club gesprochen. Ich fragte ihn trotzdem, was er denn beruflich so macht.
    Mir sind Sachen schnell unangenehm oder peinlich. Vor allem das, was Israelis machen. Israelis gehen in einen Laden, lassen sich alle Kleidungsstücke zeigen, drehen sie 20-mal hin und her, beschäftigen fünf Verkäuferinnen und gehen dann, ohne das Portemonnaie auch nur einmal aufgeknipst zu haben. Ich kaufe immer was. Selbst wenn ich nicht will. Zu oft habe ich einfach das Gefühl, etwas tun zu müssen, weil es erwartet wird, nicht weil ich es möchte. Mehr und mehr glaube ich jedoch, dass ich mich damit auf dem Holzweg befinde. Ich wäre auch gerne so frei wie Israelis. Immer einfach man selbst sein.
    Ich bin es nicht. Ich kann nicht. Als meine Schwiegermama in beschriebenem Vorfall am Berliner Alexanderplatz schließlich auch noch um ein Foto mit Bobic bat, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Doch der ehemalige Nationalspieler Fredi Bobic lachte. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Er war ehrlich begeistert von der authentischen, direkten Art meiner Schwiegermama in spe. Ich verstand. Meine Schwiegermutter wurde in diesem Augenblick meine eigene persönliche Heldin für die Freiheit, echt zu sein.
    Bobic lachte übrigens immer noch, als wir schon längst nicht mehr zu sehen waren. Im deutschen Realitätsfernsehen habe ich selten jemanden so glücklich gesehen.

Keine Panik
    Im Nahen Osten machen gerade alle auf Revolution, und mein Vater ist keine große Hilfe. Bei seinem letzten Anruf schrie er panisch ins Laptopmikrofon, dass sich Ägypten jetzt islamisieren wird. Und dann wird alles viel schlimmer. Die werden dann nämlich den Frieden mit Israel auflösen, und bald hageln Bomben und Raketen auf Tel Aviv. Das Ende steht unmittelbar bevor. Na, dann einen schönen Sonntag noch.
    Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, Deutsche dramatisieren gerne. Die Frage, die ich in Deutschland am häufigsten über Israel höre, lautet: »Kann man da überhaupt normal leben? Wegen dem Krieg und so.« Wann immer in unserer Gegend etwas passiert, werde ich mit panischen Aufrufen, ob ich jetzt nicht nach Hause kommen möchte, und großem Entsetzen über die Situation im Allgemeinen bombardiert. Ich verstehe ja sogar, woher das kommt. In Deutschland passiert ja nichts. Deswegen scheint es in der Heimat geradezu Spaß zu machen, ein wenig zu dramatisieren und aufzubauschen.
    Vor einigen Tagen dann gab es in Japan ein schweres Erdbeben und einen Tsunami. Und dann explodierten auch noch Kernkraftreaktoren. Meine deutschen Facebook-Freunde schickten nur einen Tag nach der japanischen Katastrophe bereits Aufrufe zu »Anti-Atom-Demos«, »Anti-Atom-Mahnwachen« und »Anti-Atom-Petitionen« herum. Die deutschen Medien frohlockten dem Super- GAU geradezu in sich an Dramatik überbietenden Schlagzeilen entgegen: »Atom-Hölle«, »außer Kontrolle«, »Japans Armageddon« und »Atom-Apokalypse«. Mittlerweile sind in Deutschland Jod und Geigerzähler knapp oder bereits ausverkauft. Das deutsche Volk bereitet sich auf die Endzeit vor. Das Erdbeben war wo noch mal, in Japan? Macht nichts.
    Mit Drama und Panik verwandt ist die deutsche Schadenfreude. Liebe Leser, es tut mir leid, aber ja. Wir Deutschen scheinen mir überdurchschnittlich schadenfroh. Untersuchungen besagen, dass 79 Prozent unseres Volkes gerne über das Unglück anderer spotten. Nicht umsonst ist das deutsche Wort »Schadenfreude« ein Lehnwort im Englischen, Französischen, Italienischen, Spanischen, Portugiesischen und Polnischen. »Das

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