Guten Morgen, Tel Aviv
hebräischen Sprache für die Etablissements beeindruckt: Israelis sprechen von Schwulen-Bars, Nachbarschafts-Bars, Anbagger-Bars, Tanz-Bars, Wein-Bars, Lesben-Bars und so weiter, und so weiter. Und alle sind immer voll! Es gibt keinen lahmen Montag wie in Berlin. Keinen müden Mittwoch. Alle machen immer weiter. Ohne Pause. Ohne Stopp.
Diese Art zu Feiern steht stellvertretend für das Land. Immer weiter. Ohne Pause. Bloß nicht auf der Strecke bleiben. Genauso stellvertretend ist, dass sich selbst in der Partyszene Tel Avivs die Vielfalt des Volkes widerspiegelt. Eine meiner Lieblingsbars in dieser schönen Stadt heißt »Salon Berlin«. Nicht nur wegen Berlin, sondern weil es ein wirklich guter Laden ist. Secondhand-Kleidung trifft hier auf ein schmuddeliges Hinterzimmer mit guten DJ s und noch besser angezogenen Menschen. Dieser Laden wird von Orthodoxen betrieben. Die beiden Männer gehören zur Chabad (eine chassidische Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums) und sitzen auch schon einmal an der Bar in Sin City.
Doch auch die Läden selbst haben Symbolwirkung. Der beliebteste DJ -Laden der Stadt namens »milk/breakfast« ist genauso klein wie Israel selbst. Während Berlin mit dem riesigen »Club Berghain« aufwartet, der wiederum genauso viel Platz bietet wie die ganze Hauptstadt, quetscht sich das israelische Hippster-Volk in einen circa 50 Quadratmeter großen Raum, im dem jeder jeden kennt. Israelis pflegen ihre großen Freundeskreise. Mein wunderbarer Lebensbegleiter behauptet, er hätte mindestens 20 wirklich gute Freunde. Langsam fange ich an, ihm zu glauben. Vielleicht ist das der Grund, warum all die Israelis immer unterwegs sind. Sie müssen Leute treffen. Auch wenn das bedeutet, sich tief mit teuren Abendessen und kostspieligen Drinks zu verschulden. Abgesehen davon merkt man in Tel Aviv nach einer Weile schnell, dass man immer die Gleichen trifft. Es bleibt einem also nichts anderes übrig, als sich mit diesen anzufreunden.
Die Israelis haben wirklich große Freundeskreise. Sie sind ein sehr soziales Volk. Die Menschen im Rest der Welt, die gerne auch mal schlecht über das Land und seine Leute urteilen, hätten das wohl nicht gedacht. Neulich erst las ich, dass auch die Hornissen ein sehr soziales Volk seien. Und lange nicht so gefährlich, wie immer alle denken. Das kann ich mir gut vorstellen.
Das Bauchtanztrauma
Ich habe ein Bauchtanztrauma.
Es gibt ein Video von mir anno 1990. Aufgenommen hat es mein Bruder in Ägypten. Es war unsere erste große Flugreise nach der deutschen Einheit. Wir tuckerten mit einem Schiff über den Nil. Meine Eltern waren endlich die Weltbürger geworden, die sie im Herzen schon immer sein wollten. Nur ihre Mägen waren noch nicht so ganz auf die große weite Welt eingestellt, aber das ist eine andere Geschichte. In dem besagten Video also sieht man, wie wir in einer Reisegruppengemeinschaft zu Abend essen. Im Anschluss an das mehr oder weniger bekömmliche Mahl startete das Unterhaltungsprogramm.
Im Zentrum der Belustigung stand eine ägyptische Bauchtänzerin. Sie hatte einen ziemlich schwabbligen Bauch und wackelte damit über die Tanzfläche. Die Touris alle im Kreis um sie herum. Mein Vater ist ein großer Tänzer. Warum also nicht Bauchtanz, musste er sich wohl gedacht haben. Im Video sieht man, wie er mit vollem Einsatz versuchte mitzuschwabbeln, die Arme Kung-Fu-mäßig geöffnet. Dann kam die orientalische Hüftschwingerin auf mich zu. Ich war damals sechs Jahre alt. Und ich war nicht gerade ein dickes Kind. Ich trug enge neongelbe Radlerhosen, ein lila T-Shirt und eine Bauchtasche. Es waren die Neunziger. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, versuchte die Wabbel-Tante, mich zum Mittanzen zu animieren. Man sieht in dem Video sehr genau, wie ich mich sträube. Ich war wahrlich kein introvertiertes Kind, aber schon damals schien mir klar gewesen zu sein, Bauchtanz ist meine Sache nicht. Die durchweg älteren Touristen grölten und jubelten. Meine Mutter zwinkerte mir aufmunternd zu. Mein tanzlustiger Vater machte es vor. Dem Gruppendruck nachgebend schüttelte ich schließlich unrhythmisch meine Bauchtasche. Meine dünnen Stockbeinchen staksten über die Tanzfläche. Ich sah aus wie ein funktionsgestörter Tanzroboter. Mein Bruder hielt gnadenlos drauf.
Seitdem glaube ich, an einer PTBSfBT zu leiden. Einer Posttraumatischen Belastungsstörung für Bauchtanz. Jahrelang bin ich schreiend aus Sälen gerannt, in denen gerade eine Bauchtänzerin
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