Guter Sex Trotz Liebe
zusammen. Dann berichten wir sie anderen. Dabei erzählenwir möglicherweise jedem, der zuhört, etwas anderes. Mit jeder Geschichte wählen wir bestimmte Teile für die Story aus. Dafür lassen wir andere weg. Einmal betonen wir etwas, was wir beim nächsten Mal weglassen. Auf diese Weise wird die Hermann-Geschichte zur Grundlage verschiedener lustiger Verwechslungs-Storys. Mit der Geschichte der ersten Monatsblutung stimmen wir später die pubertierende Tochter auf ihre geschlechtliche Reife ein. Die Geschichte von Corinna wird zu einer Beichte des Scheiterns. Und Elvira? Diese Geschichte baumelt wie ein Damokles-Schwert als bisher verschwiegene Sünde über der Ehe.
Der Blick auf die eigene Geschichte verändert sich
Sexuelle Entwicklung lässt sich nur subjektiv gefärbt erzählen. Wie wir die sexuelle Vergangenheit betrachten, ist also das Ergebnis einer mehrfachen Auswahl. Wir gestalten mit unserer Erzählung die Vergangenheit aktiv und bauen sie zu einer plausiblen Geschichte um. Weil wir aus unserer gegenwärtigen Gedankenund Gefühlswelt heraus erzählen, ist die Vergangenheit lebendig, unabgeschlossen und immer wieder Veränderungen unterworfen.
Im Licht neuer Erfahrungen verändert sich auch der Blick auf unsere erotischen Geschichten. Wir erzählen die gleichen Geschichten auf andere Weise. Selbst die harten Fakten lassen sich manchmal anders interpretieren. Wir rücken dann eher das gut Gemeinte am schlecht Gekonnten in den Blickpunkt. Ein Vorwurf weicht eher der Nachsicht.
Erotische Entwicklung lässt sich also daran bemessen: Können wir die Geschichte der eigenen Sexualität, und damit der Entwicklung als Mann oder Frau, anders erzählen als früher? Ein Beispiel dafür gibt die Geschichte von Jonas. Sie illustriert, wie aus einer ursprünglich abwertenden Selbstsicht eine gelingende Neubestimmung entsteht.
Fallbeispiel »Jonas und die eigene Kleinheit«
Jonas verliebte sich unsterblich in Corinna. Jonas beschrieb die Verbindung zu Corinna als »intensiv, wahrhaftig, die groÃe Liebe«. Und gleichzeitig litt er, denn Corinna hatte viel an ihm auszusetzen. Und sie hatte ja irgendwie Recht. Eine solche Frau konnte er nicht verdient haben! Er überhöhte die Frau so sehr, dass jede Kritik, jede minimale Nicht-Ãbereinstimmung zwischen ihnen, Jonas nur die eigene Unvollkommenheit bestätigte. Er idealisierte z. B. ihre Intuition, denn er war sicher, dass nur sie erkannte, wie er »wirklich« war. Jede Meinung, die von seiner abwich, bestätigte ihm die eigene Minderwertigkeit. Jeder Einwand, den sie gegen ein Argument von ihm vorbrachte, bekräftigte seine Kleinheit. Als die beiden ein Paar wurden, entwickelte er Erektionsstörungen: »Ausgerechnet bei der Frau meines Lebens«, schüttelte er den Kopf.
In seinen Erektionsstörungen sah er nur einmal mehr den Beweis, nicht richtig, nicht männlich, nicht stark zu sein. Er nahm sie als Indiz der Wahrheit, nicht gut genug für diese himmlische Frau zu sein. Da Corinna keinen Nutzen daraus ziehen konnte, dass sich ihr Partner so sehr selbst abwertete und klein machte, kam es zur Trennung. Erst später kamen die Erektionsstörungen zur Sprache. Das Gespräch darüber veränderte die Sicht auf die Vergangenheit. Je blasser die Corinna-Beziehung wurde, desto weiter entfernte er sich vom Kern seiner früheren Erzählung. Er lernte eine neue Partnerin kennen. Das Symptom trat nicht mehr auf. Er konnte von der Idee lassen, derzufolge die Erektionsstörungen die eigene Minderwertigkeit bewiesen. Im Rückblick kommentiert er die Geschichte so: »Ich habe damals besser wahrgenommen, als ich dachte. Im Grunde war die Erektionsstörung ein Warnsignal. Mein Penis hat gesagt: So will ich nicht! Und er hat Recht gehabt!«
So entwickelt sich aus einer Geschichte, deren Erzähler sich selbst als sehr klein und minderwertig sieht, über die Zeit eine Alternative: Die Sicht auf die Erektionsstörung verändert sich. Aus demIndiz der eigenen Kleinheit und Minderwertigkeit wird ein Hinweis auf die eigene Fähigkeit, Nähe und Distanz kompetent regulieren zu können.
Welche Geschichten wählen wir aus? Gute und schlechte Geschichten
Mittels Geschichten sind wir in der Lage, variantenreich von der eigenen Untauglichkeit zu sprechen. Auch die häufigen Klagen zählen dazu, mit denen wir jene Täter dingfest machen, die
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