Guter Sex Trotz Liebe
bei mir. Alain war Alkoholiker. Mehrere Entziehungskuren waren erfolglos geblieben. Er war ein leiser Trinker,begann meist am Mittag, heimlich zu trinken und saà abends initiativlos zu Hause. Sie kamen auf Betreiben von Elfie zu mir, die darunter litt, dass er sich nicht nur sexuell zurückgezogen hatte, sondern ihr auch kaum noch Zärtlichkeiten bot. Elfie hatte die typische Co-Alkoholiker-Rolle übernommen. Sie beklagte sich über sein Problem, unterstützte es aber indirekt, indem sie Alain alle praktische Verantwortung abnahm und sich um alles kümmerte. Dass er ihr wenigstens gelegentlich sexuell entgegenkäme, war ihr Anliegen. Auf meine Frage, was denn anders wäre, wenn Alain nicht mehr trinken und sich liebevoll um Elfie kümmern würde, ging Elfie für einen Moment erfreut ein: »Darauf warte ich ja seit Jahren!« Meine vorsichtigen zielgerichteten Nachfragen, wie denn ein Eheleben ohne Alkohol und mit Zärtlichkeit aussehen könnte, schienen beide Partner aber eher zu bedrücken als zu erleichtern. Zum dritten verabredeten Termin kamen sie dann nicht mehr.
Es mag sein, dass ich mit einem anderen Vorgehen mehr Erfolg gehabt hätte. Ich glaube es aber nicht. Beide hatten sich mit dem Problem eingerichtet, Elfie hatte sich auf einen Mann eingestellt, den sie gut kannte, der sie nicht überforderte und mit dem sie, wenn auch unzufrieden, leben konnte. Alain hatte in Elfie eine funktionierende Versorgung. Und mit der Alkoholabhängigkeit auch einen Grund, sich nicht um sexuelle Initiative bemühen zu müssen. Mit dem Problem konnten Alain und Elfie â so hart das klingen mag â einfacher leben als mit einer Lösung, die viel Aktivität, Umstellung und Aufwand bedeutet hätte. Lieber das bekannte Problem als die unbekannte Lösung â darauf lief es hinaus.
Halb leer oder halb voll?
Solche Erzählungen formen unser Selbstbild. Und vor diesem Hintergrund gestalten wir unser aktuelles Handeln. Damit gelangen wir zu der Frage, was eine gute, eine nützliche Geschichte ausmacht. Den Unterschied zwischen dem halb leeren und dem halb vollen Glas kennen wir alle. Auch unsere erotische Lebensgeschichte können wir uns halb leer erzählen. Wenn wir das tun, konzentrieren wir uns auf das, was fehlt, was schief gelaufen ist, was wehgetan hat. Und wir erklären damit die eigene Unfähigkeit, sich auf Intimität einzulassen, den inneren Knoten, der noch gelöst werden muss, den vom Konflikt, der sehr tief sitzt, die Grundangst, die immer dabei ist.
Oder wir erzählen unsere erotische Lebensgeschichte halb voll â mit zunehmender Tendenz. Das heiÃt, wir konzentrieren uns auf die Erinnerung an glückliche Momente, an befriedigende Begegnungen, an gelungene sexuelle Situationen, an warme Gefühle und geile Höhepunkte. Und wir verstehen unser Leben als eine gewachsene Sammlung von Erfahrungsreichtum.
So können wir verschiedene Geschichten über unser sexuelles Leben erzählen. Verschiedene Geschichten, die alle auf ihre Weise wahr sind. Probieren Sie es aus! Erzählen Sie Ihr sexuelles Leben in zwei gegensätzlichen Versionen, einmal als Gewinnergeschichte einer wunderbaren Entwicklung und einmal als Verlierergeschichte voller Enttäuschungen und Schicksalsschläge. Ziel der Ãbung ist, sich â als Erzähler und als Zuhörer â mit zwei Lesarten ein und derselben Lebensgeschichte vertraut zu machen.
Ãbung 5: Meine sexuelle Lebensgeschichte als Gewinner- und als Verlierergeschichte
Die Verlierergeschichte
1. Erzählen Sie Ihrem Partner (oder einem andern Menschen) Ihre sexuelle Lebensgeschichte als Verlierergeschichte.
2. Konzentrieren Sie sich dabei auf die unglücklichen Erlebnisse, auf Kränkungen und Misserfolge, auf Niederlagen und schlecht gelaufene Beziehungen.
3. Erfinden Sie nichts dazu! Erzählen Sie nur wahre Geschichten. Und lassen Sie angenehme Erlebnisse einfach weg.
4. Beachten Sie dabei, dass Sie Ihrem Partner die Geschichte glaubhaft schildern.
Und gleich drauf polen Sie um auf:
Die Gewinnergeschichte
1. Erzählen Sie Ihrem Partner (oder einem andern Menschen) Ihre sexuelle Lebensgeschichte als Gewinnergeschichte.
2. Konzentrieren Sie sich dabei auf schöne Erlebnisse, auf Glücksmomente und Erfolge, auf erregende Begegnungen und befriedigende Beziehungen.
3. Erfinden Sie auf keinen Fall etwas dazu! Erzählen Sie nur wahre
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