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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Sendereihe, immer freitags um halb elf, auch mit verwackelten Schwarzweißbildern aus der Tiefe zugemüllter Westberliner U-Bahnschächte – eine leicht herzustellende, grundsätzliche Kritik an den Verhältnissen, an Verwahrlosung und Elend, versteht sich.
     
    Alle Macht der Super Acht …
    Der Thrill der düsteren Vergangenheit … oder: Honigsaugen aus überwucherten Ruinen …
    … Bring deinen Beitrag einfach mal vorbei.
     
    Trotz meines Faibles fürs experimentelle Kino dachte ich immer öfter, für Undergroundfilme schon zu alt zu sein … Leiser wiederum, vor ein paar Jahren noch Krankenpfleger, mißtraute der akademischen Avantgarde genauso wie den punkig dilettierenden Szene-Künstlern – die einen machten kopflastige l’art pour l’art für den Eigenverbrauch, die anderen – so kommentierte er deren Anfangserfolge – wär’n am Ende, wenn ihre jeweils modische Bewegung zu Ende ginge. Wenn wie hier fast jeder an die nachrevolutionäre Besänftigungsutopie einer zügig vorangehenden Selbstverwirklichung glaubte, spielte das Literarische keine besondere Rolle, als Ausdrucksform zu langsam, zu zeitraubend, versteht sich. Sich den visuellen Künsten oder der Musik zu verschreiben versprach direktere, schnellere Anerkennung … Auch die im Café verkehrenden Maler mußten mit ansehen, daß zunächst einmal den Filmemachern die größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde …
     
    Ach ja, die Maler.
     
    Die malten gelbe Mauern unter lila Nachthimmeln, rosane Schwimmer mit vital ins Blau einstechendem Armzug, schemenhafte Rockkonzerte und Dollarnoten in Supergröße – unbekümmert schoben sie ihre Nackedei-Kulissen ins Bild, huschhusch unter die Dusche … irgendwer nannte sie die jungen Wilden … eine für uns beileibe nicht über alle Zweifel erhabene Künstlergruppe. Sie führten eine selbstorganisierte Galerie, die Galerie am Moritzplatz, zu deren Vernissagen ich meist mit Doktor Karin fuhr. Gleich beim ersten Mal mußte ich mich bei den Galeristen beschweren – nicht über die Dollarnotenbilder, die ihrem baldigen Druck auf Duschtücher entgegensahen, auch nicht über den frösteln machenden, kleinen Bullerofen in den Ausstellungsräumen. Nein, mir mißfiel, daß Bier hier nur in vulgären Halbliterflaschen gereicht wurde. Diesen Instant-Malern fehlte das ästhetische, quasi wahrholsche Gespür für die figürlich wie abstrakt elegant in der Hand liegenden 0 , 33 er-Becks-Flaschen – die für meinen Geschmack unverzichtbaren, bremischen Säulen glückender Abende.
     
    Ohne bei der Arbeit selbst dabeigewesen zu sein, hatte ich das Gefühl, diese Maler malten unter Zeitdruck, weil es Wichtigeres in ihrem Leben gab – deshalb die schnellen, flüchtigen Gemälde, oberflächlich in Öl oder Tempera hingewischt und bei Ausstellungen zeitsparend zu betrachten, da sie nichts zu denken gaben. Wenig überraschend, daß ein paar Fabrikanten, deren Freude an der Kunst wg. Achtundsechzig und dem Folge-Terror eingetrübt war, zu den ersten, marktwertsteigernden Käufern der lebensbejahend bunten Bilder gehörten. Diese Entwicklung brachte mich in eine peinliche Situation – einem der sogenannten, mir durch herzliche Frozzeleien im Café verbundenen Wilden hatte ich kurz zuvor jedes Talent abgesprochen. Das lag an zwei Objekten oder Werken oder Aktionen, die er nach einem konzeptionellen Anfall auf für mich störende Weise mitten ins Café stellte – einen Monitor mit einem ihn beim lautstarken Umräumen seines Ateliers zeigenden Video und ein zwischen die Flaschen ins Regal gelegtes, mit Stacheldraht umwickeltes, über den Tresen vor sich hin blitzendes Mini-Stroboskop. Was der Künstler uns Gästen auch immer damit sagen wollte – mir ging’s allein schon als Zeitungsleser gegen den Strich. Jeder kriegt hier seine Chance, hatte ich ihm gesagt, du hast deine verwirkt. Das war nur wenige Monate bevor die Preise seiner Bilder von null auf gerüchteweise Hunderttausende schossen – und jetzt, und jetzt, rief er mir im »Dschungel« zu, was sagst du jetzt! Gratuliere, was sonst.
     
    Nicht nur sein Geschäft war auf den Augenblick abgestellt. In der Anfangsphase des Mitropa verschwendete niemand mehr als einen Gedanken daran, daß diese Zeit vorbeigehen könnte, daß ein Ende kommen könnte, bald schon. Einzig Leiser sah auf dem Heimweg einmal mit fernglasigem Blick sehr weit nach vorn: Wenn du dich in späteren Jahren mal an die von dir bejammerten Abende wie den heutigen erinnerst, wirst du sagen, das war

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