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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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später gelegentlich an dem noch in der ursprünglichen Einrichtung existierenden Lokal vorbeiging und die dort im gewöhnlichen Caféhalbschlaf dösenden Gäste sah, kam mir der Gedanke: Wäre es nicht schön, wenn sie wüßten, wo sie sitzen? In einem Lokal, das früher andere Gäste und einen anderen Namen hatte – im historischen Café Mitropa, dem einstigen Gemeindesaal der noch jungen Subkulturen. In ihm begegneten sich exponierte Individuen und entwickelten Strategien für möglichst gesellschaftsferne Nischen, hier konnten Westberliner Neon-Babys neben anderen, später gerühmten Künstlerkandidaten wie in einem Brutkasten heranreifen und den Ort zu einem Phänomen machen – einen gut vierzig Quadratmeter kleinen Gewerberaum in Schöneberg. Irgendwer könnte darauf einmal hinweisen oder eine Tafel aufhängen: »Nach einem siebenstündigen Arbeitsfrühstück beschlossen die Maler Thierry und Kiddy am 9 . Juni 1982 in diesem Café, die bis dahin gräßlich graue Mauer mit ihren bekannten bunten Bildern anzumalen.« Dieser Thierry, zum ersten Mal in Berlin und sofort an der richtigen Anlaufstelle, hatte sich gewundert, daß bisher niemand auf die Idee der Mauermalerei gekommen war. Am Nachmittag seines spontan und lautstark gefaßten Beschlusses saß ich zufällig am Nebentisch.
     
    Zu jeder Tageszeit trafen sich hier Musiker verschiedener Bands zur Lagebesprechung. Auch Freddie Friedmann, ein Kommilitone von Katja und Gitarrist bei den ›Schwestern‹ – für sie genau der Richtige, sein asymmetrisch geschnittenes Stoppelhaar stand steil aufgerichtet, wahrscheinlich mit Zuckerwasser gefestigt. Wir sprachen öfter über die Fortschritte in seiner Band. An einem der seltenen Heim-Abende sah ich dann mit großem Erstaunen ›Die Schwestern‹ drei Minuten lang in der Spät-Tagesschau im Fernsehen … seinerzeit ein sofort wirksamer Schubser in Richtung Erfolg und Einnahmensteigerung. Ohne den Gitarristen Freddie jedoch, der mir Tage zuvor noch erzählt hatte, die Band habe sich seinem Vorschlag widersetzt, versuchsweise mal auf deutsch zu singen. Laut TV -Bericht taten sie’s nun doch, wechselten von den blue eyes zu den guten alten blauen Augen (von hang down zu Häng dich auf, ich häng dich ab) – und siehe da, das Publikum fühlte mit, vom ersten Test an … Freddie war damals nicht amüsiert, was ich nachempfinden konnte – als jemand, der wie er unmittelbar vor Beginn einer Erfolgsgeschichte auf fiese Art ausgebootet wurde.
     
    Den Hintergrund seiner Kaltstellung erzählte er mir mehr als zwanzig Jahre später, als wir zufällig auf die alte Geschichte zu sprechen kamen: Ein krachendes Beziehungsproblem, innerhalb der Band trennte sich ein Sänger-Pärchen … paß bloß auf, warnten sie den vertraglosen Freddie, auf wessen Seite du dich stellst … Eine Intrige sei’s gewesen, die anderen hätten damals Blut geleckt und ihn kurz vorm Zahltag abgeschossen … Die krude Geschichte wühlte ihn noch einmal auf, weil der Bandleader der ›Schwestern‹ gerade verstorben war – unter großer öffentlicher Anteilnahme, selbst die seinerzeit gefilmten Tischrunden der Musiker im doch ziemlich karg aussehenden Mitropa huschten in memoriam noch mal über die Bildschirme. Als Mitgestalter eines Sounds, aus dem einige Hits entstanden, hatte Freddie lange Zeit vergeblich auf irgendeine Form der Anerkennung gehofft, auf zehn Mille in bar oder eine Geste wenigstens. Am Ende des Gesprächs erzählte er mit gesenkter, verhalten triumphierender Stimme, was von diesem Bandleader auf dem Totenbett noch zu hören gewesen sei …
    »Schade um das viele Geld, das ich nicht mitnehmen kann …«, soll als letzter Satz aus seinem Sängermund gekommen sein …
    Schade um die zu späte Einsicht, hatte ich erwidert, seine teuren Antiqitäten und die noch teurere Kunst an den Wänden wird er auch nicht ins Jenseits mitnehmen können, das historische Baldachinbett wahrscheinlich auch nicht …
    Davon wußten nicht viele.
    Aber Katja … unsere gemeinsame Freundin Katja. Sie kam damals viel rum und war bei dem Meisterklampfer mal zum Essen eingeladen – er empfing sie abends um acht in seinem rotseidenen, asiatischen Morgenmantel mit dem Tigerkopf hinten drauf …
    … und dann mußte sie sich wie seine anderen Besucherinnen nackt vor den mit Koks beladenen Plattenteller knien, sagte Freddie, der rotierte mit langsamen 33 Umdrehungen, das dauerte …
    So lange hat sich Katja dort nicht aufgehalten.
     
    Freddie, heute

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