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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Party-Küche oder eben in ein Stammcafé ein, das sie – ohne es bereits zu wissen – schon in Kürze auf das heftigste bekämpfen werden.
     
    Worauf noch warten, sagte ich mir am Kennenlernabend, eine bereits ausführlich bekuckte Frau sitzt dort ganz allein. Als ich mich an ihren Tisch pflanzte, schien sie nicht allzu überrascht und ließ mich an ihren Rätseln des Augenblicks teilhaben – als erstes der postkartenartige Flyer einer Theatergruppe, dazu das Programmheftchen eines Freilichtkinos sowie ein verschlossener, amtlich aussehender Briefumschlag. Offenbar brauchte sie beim Lokalbesuch sicherheitsspendende Requisiten, die sie auf der Tischplatte hin und her schieben konnte. Sie hielt mir die Bildpostkarte entgegen und sagte in beschwörendem Flüsterton sinngemäß Sachen wie das Kind und der Tod, Anfang und Ende, bald geschieht das Unausweichliche, sieh nur hin … Werbung war’s, das Foto eines Säuglings, der einen Totenschädel auf einem Silberteller präsentierte, auf der Rückseite die Ankündigung eines Stückes. Um welches Stück konnte es sich handeln? Der Titel fiel mir dummerweise nicht sofort ein, »Hamlet«, klar. Der Kinoprospekt aufgeschlagen bei »Vom Winde verweht«, der Briefabsender eine Klinik, das von ihr wiederholt gezeigte Säuglingsfoto – daraus ließ sich einige ernstgemeinte Todespoesie spinnen, in einem mir nur bedingt gefallenden, völlig ironiefreien Klang. Das verstörte mich zunächst. Doch in den ersten Momenten einer Begegnung fällt ein Schuß Pathos noch nicht negativ ins Gewicht.
     
    So begann die Zeit mit Ella.
     
    Dabei hätte jener Abend vollkommen anders verlaufen können, ganz andere Entscheidungen wären vom Gefühl her ohne weiteres möglich gewesen – was durchaus Anlaß zu Zweifeln hätte geben sollen. Nur Stunden zuvor hatte ich mich nämlich mit einer anderen Frau getroffen und während eines meinerseits ambitionierten, von Notgeilheit getriebenen Abendessens Widerstände gespürt. Eine pumperlg’sunde Enddreißigerin mit großen, runden Brüsten wie aus alten Zeiten, nach zwei, drei Caféhausbegegnungen bis zu dieser Verabredung hochgereizt, sah sie sich im Lauf unseres Gesprächs zu der Gretchen-Frage genötigt: »Was willst du eigentlich von mir?« Eine berechtigte Frage, versteht sich, eine Frage, deren sprechblasenartiges Auftauchen noch vor dem Nachtisch meine Laune endgültig verfinsterte. Wenn eine Frau in einer fragilen Situation diese Frage stellte, schwang darin schon genug Skepsis, enttäuschte Erwartung und ihre erahnbare Ablehnung mit – da hatte sich unterderhand ein Kommunikationsproblem eingeschlichen, der erotic flow verdünnisiert, für alles Weitere war es dann zu spät. Allein deshalb antwortete ich kamikazös: »Ich will mit dir ins Bett.« Ein berechtigter Satz, versteht sich, ein Satz jedoch, mit dem man im Leben selbst im Gefühl größten erwartbaren Entgegenkommens äußerst sparsam umgehen sollte – vor allem aber bei dereguliertem Hormonhaushalt, der häufig zu Fehleinschätzungen und mentalen Schwankungen führt. Bereits bei der Wahl des Restaurants war es bei mir zu einer Verstimmung gekommen, weil sie meinen Erstvorschlag beinahe erschrocken zurückgewiesen hatte – in dieses Lokal kann mein Liebster direkt hineinkucken, erklärte sie besorgt, von seinem Balkon im vierten Stock des Hauses gegenüber. Der Ehemann und Vater ihrer beider Kinder wohnte dort seit vier Jahren mit neuer Partnerin nebst gemeinsamem Nachwuchs, während sie selbst als Alleinerziehende offenbar an altgewohnter Stelle in innerer Ehe mit ihm weiterlebte – okay, dachte ich, manche Frau liebt halt nur einmal im Leben. Um gut aus der Situation herauszukommen und dennoch etwas Theorie zu hinterlassen, lieferte ich noch einige meinen Bett-Satz vertiefende Gedanken – ein gemeinsamer Abend unter freien Menschen müsse alle Möglichkeiten offenhalten, das prinzipielle Ausschließen meiner Vorstellung wäre lebensfeindlich und vielen Dank für das blauäugige Angebot, Freundschaft zu schließen. Solche Konstellationen beflügelten mich nicht und führten meist zu vereinfachten Verfahren.
     
    Und nur wenig später trug Ella ihre Todespoesie vor, wobei ich – ohne zu wissen, warum – ein bißchen mittrauerte … eine zunächst irritierend verlaufende Begegnung – der Abbruch des Gesprächs wäre in jedem Augenblick möglich gewesen.
     
    War noch gar nicht lange her, dieser erste Abend mit Ella.
     
    Und so sah es mittlerweile aus: Diese Frau hatte

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