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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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am Frühstückstisch hatte sie meine Bereitschaft erkundet, in einer unserer beider Wohnungen praktisch ab sofort zusammenzuleben – ein verdächtig schnelles, mir unverständliches Tempo für so eine, meiner Meinung nach Jahre der Überlegung brauchende Entscheidung. Als argumentative Hilfe beschwor sie immer wieder die Traumehe ihrer Schwester Elke, die mit ihrem Mann Peter vom Aufstehen bis zum Schlafengehen alles mögliche gemeinsam machte. Für mich eine Horrorvorstellung, so ein Philemon-und-Baucis-Leben, von dem ich mich einmal überzeugen konnte, als wir das seit etwa zwei Jahren verheiratete Paar in seinem Wohnort Oldenburg besuchten – die zwei Anfangfünfziger fuhren morgens zusammen zur Arbeit, kehrten nachmittags zusammen zurück und schnibbelten abends am Küchentisch beim Pärchen-Kochen Brett an Brett Gemüse mit nahezu synchronen Handbewegungen. Sie taten das nicht ohne entsprechende Theorie. Paare, die sich, so wie sie, erst spät im Leben gefunden hätten, müßten die entgangene Zeit aufholen und den verbleibenden Rest für ein besonders intensives, in konfliktfreier, inniger Zweisamkeit zu verbringendes Zusammensein nutzen.
    Eine steile Talkshow-These, hatte ich auf der Rückreise zu Ella gesagt, verärgert über die auch auf mich zielende Provokation ihrer Verwandtschaft, die von meiner Zurückhaltung beim alltäglichen Paarlauf wußte. In Oldenburg ginge so etwas womöglich leichter, obwohl es meiner persönlichen Erfahrung widerspräche – da das versuchte Zusammenleben mit meiner Jugendliebe Susanne ebenfalls in Oldenburg stattgefunden hätte und bereits nach wenigen Monaten gescheitert wäre. Fast vier Jahrzehnte her, danach kam die lange WG -Phase, schließlich ein überzeugt singliges Wohnen. Ella hielt das Zusammenleben eines Paares für den Normalzustand. Vielleicht in Oldenburg, hatte ich dagegengehalten, aber wir lebten nicht in dieser Stadt und wären auch nicht Elke und Peter. Die Statistik fürs Berliner Leben sagte, siebenundsechzig Prozent wohnten im Einzelhaushalt, doch Ella sagte, das wär’n falsche Zahlen, zusammenzuleben sei das Natürlichste der Welt, da hätten wir eben zwei Meinungen – und meine würde sie nicht verstehen.
     
    Die Vorstellung eines quasi symbiotischen Dauerzustandes, in dem alles und jedes abzustimmen, zu filtern, zu teilen und durchweg exklusiv mit einer Person zu erleben sei, kam mir wenig erstrebenswert vor. Das war die Meinung, die Ella nicht verstand. Sie verstand nicht, daß ich viel, sehr viel Zeit für den Eigenbedarf benötigte.
     
    Wozu denn dieser sogenannte Eigenbedarf, hatte sie gefragt.
    Für die notwendige Versenkung, erklärte ich.
    Du verschwindest doch nur, um deine Angriffsfläche zu minimieren.
    Es geht nicht gegen dich.
    Das sagen die Ehemänner meiner Freundinnen auch, wenn sie abends nach Hause kommen und in ihren Dachzimmern im Internet versacken.
    Aber es ist keine Zurückweisung.
    Warum diese viele Zeit für dich, hatte sie mit längst schrill gewordener Stimme gefragt – wozu?
    Für die Selbstbetreuung.
    Wozu, wozu, wozu?
     
    Bei diesen regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen geriet ich oft genug an den Rand des Erklärungsnotstandes. Was in der im Eigenbedarf verbrauchten Zeit passierte, war nur bedingt erzählenswert – in Filme reinkucken, Tabellen studieren, im Netz herumklicken, mal was lesen, denken, insbesondere denken, eine Primärtugend. Alles ehrenamtlich ausgeübt, in der schizzoiden Klemme zwischen dem über-ichigen Befehl des »Genieße doch!« und dem kulturellen Imperativ, dem Zwang zur Sublimierung – ein etwas quälerisches Patt, versteht sich. Eine neue Freundin mußte sich entscheiden, ob sie in mir einen austrainierten, hochmotivierten Konsumverzichtler sehen wollte, den inneren, analogen Bohèmien also, dessen Zeitfenster sich überdies langsam schloß – oder einen sich selbst zum Geistesmenschen erhebenden Geringverdiener mit undeutlich bleibendem Potential, der unter Umständen noch zum gemeinsamen Nestbau überredet werden konnte. Das hört sich geheimnisvoller an, als es war. Sein Rest-Mysterium sollte ein Mann jedoch schon noch behalten – selbstverständlich auch eine Frau … auch so eine wie Ella, die sich ja gern geheimnisvoll und verschwiegen gab, wenn es beispielsweise um ihre Vergangenheit ging. Insbesondere um ihre liebesgeschichtliche Vergangenheit, von der sie so wenig zu erzählen bereit war wie sonst allenfalls Heiratsschwindler.
     
    Ein unruhiges Jahr lag hinter uns, ein

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